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PARIS/LYON
Marine Le Pen sieht sich vor Gericht als Opfer
Birgit Holzer
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:00 Uhr

Betont entspannt gab sich Marine Le Pen gestern beim Auftakt ihres Prozesses vor dem Strafgericht in Lyon: „Ich habe keinerlei Gesetzesbruch begangen.“ Sie erscheine trotzdem, weil sie sich „eine solche Gelegenheit nicht entgehen“ lasse. Denn genau das stellt die Anklage wegen Anstiftung zum Rassenhass für die Chefin des rechtsextremen Front National (FN) dar: Eine Chance, sich als Opfer einer politischen Justiz zu stilisieren und ihre Sicht der Laizität zu verteidigen. Le Pen versteht darunter nicht nur die Trennung zwischen Religion und Staat, sondern die Verbannung religiöser Symbole und Handlungsweisen aus dem öffentlichen Raum. Wobei es ihr vor allem um die des Islam geht.

Ende 2010 hatte sie in Lyon vor applaudierenden Anhängern Muslime, die auf der Straße beten, mit der Besatzung Frankreichs durch Nazi-Deutschland verglichen. „Sicher geschieht dies ohne Panzer und ohne Soldaten, aber trotzdem ist es eine Besatzung, und betroffen sind die Einwohner“, sagte sie damals.

Auf die Klagen von Menschenrechtsorganisationen hin nahm die Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf. Mit der Aufhebung von Le Pens Immunität als EU-Abgeordnete machte das Europaparlament im Sommer 2013 den Weg für einen Prozess frei. Theoretisch riskiert die 47-jährige Rechtspopulistin eine einjährige Gefängnisstrafe sowie eine Geldbuße von bis zu 45 000 Euro. Sie steht zum ersten Mal vor Gericht, während ihr Vater, Parteigründer Jean-Marie Le Pen, mehr als zwei Dutzend Mal verurteilt wurde, unter anderem wegen Anstiftung zum Rassenhass, Verleumdung und Körperverletzung.

Nun tritt Marine Le Pen auch in dieser Hinsicht sein Erbe an. Dabei will sie sich eigentlich erkennbar von ihm absetzen, seit er es im Frühjahr in Interviews mit seiner antisemitischen Hetze zu weit trieb. Noch läuft der Kampf um die Aberkennung seiner Ehrenpräsidentschaft der Partei, gegen die er sich mit juristischen Mitteln wehrte. An den Rand gedrängt ist Le Pen senior trotzdem längst. Seine unkontrollierbaren Provokationen passen nicht zur Strategie der „Entdämonisierung“, mit der seine Tochter den Front National für neue, vor allem auch jüngere und weibliche Wähler, öffnen will. Dazu gehören ein moderneres Auftreten, die Verbannung von Nazisymbolen und offen rechtsradikalen Parolen.

Dabei hat sich die Parteilinie kaum geändert. Gegenüber der europäischen Integration, Muslimen und Einwanderern findet Marine Le Pen ebenso brutale Worte wie ihr Vater. Gestern rechtfertigte sie ihren Vergleich mit der „Besatzung“: Mit ihren Straßengebeten belegten Muslime ein Gebiet mit Beschlag, um ihm ein religiöses Gesetz aufzuzwingen, das dem Gesetz der Republik widerspreche.

In Umfragen erhält sie inzwischen Zustimmungswerte von bis zu 31 Prozent, beständig konnte sie in den vergangenen Jahren die Macht des Front National ausbauen und hofft auf einen erneuten Triumph bei den Regionalwahlen im Dezember vor allem in seinen Hochburgen, dem deindustrialisierten Norden und der Côte d'Azur, die stark von Einwanderung geprägt ist. Le Pens Erfolg erklärt sich nicht nur aus der verbreiteten Furcht vor Einwanderung. Auch präsentiert sie sich geschickt als Politikerin, die angeblich als Einzige für das Volk und gegen das „System“ ein- und auftritt – und von diesem nun verfolgt werde.

Ähnlich argumentiert der Front National im derzeit laufenden Strafverfahren wegen Betrugs und Veruntreuung öffentlicher Gelder. So soll die Firma Riwal, die einem Vertrauten Marine Le Pens nahesteht, den FN-Kandidaten bei den Parlamentswahlen 2012 überteuerte Rechnungen für Wahlkampf-Sets mit Plakaten und Hilfsmaterial für den Internet-Auftritt ausgestellt haben. Der Staat erstattete den Kaufpreis von 15 000 Euro pro Exemplar, sofern die Kandidaten mindestens fünf Prozent der Stimmen erhielten. Noch wird untersucht, ob und wie ein Teil des Geldes an die Partei zurückfloss.

 
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