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„Man muss offen diskutieren können“
Das Gespräch führten Dieter Löffler und Torsten Geiling
 |  aktualisiert: 26.05.2016 03:32 Uhr

Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach gilt als einer der schärfsten innerparteilichen Kritiker von Kanzlerin Angela Merkel. Er sagt, was ihn am Kurs seiner Partei stört und erläutert die Herausforderungen für die Union durch die AfD.

Frage: Herr Bosbach, wohin steuert die CDU?

Wolfgang Bosbach: Ich hoffe, dass sie Kurs hält. Wir brauchen weder eine Verschiebung nach links noch nach rechts, sondern einen Kurs der Mitte. Wir haben traditionell eine christlich-soziale Wurzel, eine liberale und eben auch eine konservative. Die Union war immer dann stark, wenn sie diese Wurzeln in gleicher Weise gepflegt hat. Wir sollten nicht glauben, dass die Wertkonservativen in unserem Land mangels akzeptabler politischer Alternative ohnehin die Union wählen würden. Das stimmt schon lange nicht mehr.

Woran liegt das? Nur an der Flüchtlingskrise? Oder an Frau Merkel, wie die AfD behauptet?

Bosbach: Die Flüchtlingskrise ist im Moment die größte innenpolitische und gesellschaftspolitische Herausforderung, die schon seit Monaten für heftige, zum Teil sehr kontroverse Debatten sorgt. Ich kann das aber auch an einem anderen Punkt deutlich machen und zwar an der Europolitik und den Rettungsbemühungen für Griechenland.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass es gerade die Union war, die den Bürgerinnen und Bürgern bei der Einführung des Euro versprochen hatte, es gehe nur um eine Währungsunion, nicht um eine Haftungs- oder gar Transferunion. Die Entwicklung in den letzten Jahren war leider eine andere. Ich werde immer ganz unruhig, wenn das Wort „alternativlos“ fällt. Alternativen gibt es immer. Die Frage ist nur, welche politische Alternative die bessere ist. Darüber muss man in einer Partei offen diskutieren können.

Das heißt, Angela Merkel blickt zu sehr auf das liberale Lager und zu wenig auf das wertkonservative?

Bosbach: Ich kann verstehen, dass eine Partei immer das Ziel hat, neue Wählerschichten zu erschließen. Da bin ich gerne dabei. Wir müssen aber aufpassen, dass wir bei der Suche nach einem neuen linken Wähler nicht zwei Stammwähler irritieren oder gar verlieren. Es hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe von politischen Kurskorrekturen gegeben, für die es gute Argumente gab. Aber die innerparteiliche Diskussion hat erst danach begonnen, auf Regionalkonferenzen, auf Parteitagen. Beispiele sind die Energiewende oder die Abschaffung der Wehrpflicht. Dafür gab es gute Gründe, trotzdem kam der Kurswechsel für viele in der Partei sehr überraschend.

Die CSU überlegt mit Blick auf Merkels Flüchtlingspolitik, den Bundestagswahlkampf 2017 ohne die CDU zu führen. Nehmen Sie das ernst?

Bosbach: Man sollte die CSU und ihre politischen Absichten schon ernst nehmen. Politisch inhaltlich habe ich für die Haltung der CSU in der Flüchtlingskrise großes Verständnis. Ich sehe vieles, was wir in den letzten Monaten – je nach Betrachtungsweise – entschieden oder nicht entschieden haben, sehr kritisch. Aber warum beginnen wir ausgerechnet jetzt, eineinhalb Jahre vor den nächsten Bundestagswahlen, in der Union eine Debatte, ob wir mit einem gemeinsamen Wahlprogramm antreten oder mit zwei verschiedenen? Das verstehe ich nicht. Bei allem Verständnis für die Eigenständigkeit der CSU – ich würde Horst Seehofer gerne zurufen: „Die politische Konkurrenz der CSU heißt nicht CDU, sondern SPD, Grüne, AfD.“

Rechnen Sie damit, dass sich die AfD in der Parteienlandschaft festsetzt?

Bosbach: Ich gehöre nicht zu denen, die der Auffassung sind, dass sich das Thema AfD über kurz oder lang komplett erledigen wird. Deswegen rate ich dazu, die Partei weder zu ignorieren noch zu dämonisieren sowie deren Wählerinnen und Wähler nicht zu beschimpfen. Das hat alles keinen Erfolg. Wir müssen uns kritisch, auch selbstkritisch, fragen, warum diese Partei in so kurzer Zeit doch beachtliche Wahlerfolge erzielen konnte und mit welchen Motiven die Menschen zur AfD gehen, welche Hoffnungen sie haben, wenn sie dort ihr Kreuz machen.

Franz-Josef Strauß hat einmal gesagt, rechts von der Union dürfe keine demokratisch legitimierte Partei entstehen. Jetzt haben wir eine. Was hat die CDU falsch gemacht?

Bosbach: Zunächst einmal müssen wir feststellen, dass die SPD schon seit geraumer Zeit angeknabbert wird. Zunächst, seit über 30 Jahren, von den Grünen, danach durch die Linkspartei. Die Union erlebt das jetzt am rechten Rand des politischen Spektrums, wo eine neue politische Kraft entstanden ist, die zwar nicht nur Stimmen von der Union bekommt, aber keine Partei verliert mehr an die AfD als die Union.

Die AfD schöpft in erheblichem Maße auch aus dem Reservoir der Nichtwähler. Ich glaube nicht, dass es sich dabei nur um Noch-nie-Wähler handelt, sondern dass darunter auch nicht wenige sind, die in der Vergangenheit CDU oder CSU gewählt haben. Also müssen wir uns doch selbstkritisch fragen, wie dies am rechten Rand geschehen konnte.

Und, wie lautet Ihre Analyse?

Bosbach: Die AfD ist als Ein-Themen-Partei gestartet, nämlich mit Kritik am Euro-Rettungskurs. Es kam dann mit der Flüchtlingspolitik ein zweites Thema hinzu. Jetzt ist sie auf einem Anti-Islam-Kurs. Die Verwendung des Wortes „alternativlos“ war auch in diesem Zusammenhang problematisch. Es hat sich eine neue politische Kraft als Alternative zu den etablierten Parteien gebildet und sich auch noch den Namen „Alternative für Deutschland“ gegeben. Zudem haben wir in der Union – anders als in der Vergangenheit – nicht mehr wirklich gestandene konservative Politikerinnen und Politiker wie Alfred Dregger oder Manfred Kanther. Beide machten durch ihre ganze politische Haltung deutlich, dass sie für einen Kurs stehen, der viele Wertkonservative an die Union gebunden hat.

Dürfen wir das als Kritik an Angela Merkel verstehen?

Bosbach: Das ist eine nüchterne Zustandsbeschreibung. Außerdem geht es mir nun wirklich unglaublich auf den Geist, dass jede Meinungsäußerung, die nicht hundertprozentig mit Parteilinie konform ist, als Angriff auf die Kanzlerin gewertet wird. Es ist ausgesprochen schwierig, in der Union kontroverse Sachdebatten zu führen, ohne dass die Frage kommt: Was haben Sie eigentlich gegen die Kanzlerin? Ich weiß wirklich nicht, was solche Fragen sollen.

Wolfgang Bosbach

Der 63-Jährige zählt zu den bekanntesten Politikern hierzulande. Bis 2009 war er stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Union, anschließend Vorsitzender des Innenausschusses. Bosbach stammt aus Bergisch Gladbach. Im Bundestag stimmte er immer wieder gegen seine ei- gene Fraktion. Vergangenen Sommer gab der CDU- Politiker aus Protest gegen die Griechenland-Rettungspolitik seinen Posten als Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses auf. FOTO: dpa

 
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