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TIMBUKTU
Malis langer Weg zurück in die Normalität
Unterricht in der Bahadou-Schule in Timbuktu: Die Schulen in der Wüstenstadt haben wieder geöffnet.
Foto: dpa | Unterricht in der Bahadou-Schule in Timbuktu: Die Schulen in der Wüstenstadt haben wieder geöffnet.
Von den dpa-Korrespondenten A. DUVAL-SMITH und C. FRENTZEN
 |  aktualisiert: 05.11.2013 19:23 Uhr

Durch die Luft wehen die fast vergessenen Laute lachender und ungestüm spielender Kinder. Dann läutet der Lehrer die provisorisch hergestellte Glocke, und Jubel bricht aus: Timbuktu geht wieder zur Schule. Dennoch, auch elf Monate nach dem Einmarsch französischer Truppen in den von Islamisten besetzten Norden Malis bleibt die Sicherheitslage prekär. Die Bevölkerung hat den langen Weg zurück zur Normalität eingeschlagen, aber es ist ein steiniger Weg – und die Angst bleibt ein ständiger Begleiter.

Erst am vergangenen Wochenende wurden zwei französische Journalisten in Kidal erschossen. Die Stadt hatte seit März 2012 das Schicksal von Timbuktu und Gao geteilt. Damals waren nach einem Machtvakuum im Zuge eines Militärputsches islamistische Extremisten in die Region einmarschiert und hatten alle strategisch wichtigen Orte eingenommen. Der Bevölkerung zwangen sie innerhalb kürzester Zeit ein Terrorregime auf Basis der Scharia auf.

Obwohl sie Anfang 2013 von französischen und afrikanischen Truppen in die Flucht getrieben wurden, verüben Extremisten noch immer blutige Selbstmordattentate. Erst Ende September gingen Autobomben vor einer Militärkaserne in Timbuktus Zentrum hoch. Sechs Menschen starben, Trümmer schlugen auch ins Dach der Bahadou-Schule ein.

Rektor Harandé Touré ist trotz aller Gefahren stolz, dass seine Lehranstalt die Pforten wieder öffnet. Zahlreiche Eltern waren in den vergangenen Wochen in sein Büro gekommen, um ihre Kinder für das nächste Schuljahr einzuschreiben.

„Seit April 2012 waren alle Schulen in Timbuktu geschlossen, denn als die Terroristen kamen, sind die Menschen geflohen“, erinnert sich Touré. „Jetzt sind sie zurückgekehrt und möchten die verlorene Zeit wiedergutmachen. Vor allem die Kinder sind ganz begierig darauf, wieder etwas zu lernen.“

Über den mächtigen Fluss Niger kommen die Vertriebenen in die legendäre Wüstenstadt zurück. Zweimal pro Woche docken Boote mit Heimkehrern im Hafen an. Touré glaubt, dass zunächst 1200 Schüler am Unterricht teilnehmen werden. Das Problem sind aber nicht die Kinder, sondern die Lehrer: Erst sechs von ihnen haben sich zur Arbeit gemeldet. Nicht nur die Lehrer haben Angst, auch die Eltern. „Die Behörden wollen, dass wir in den Norden zurückgehen und geben uns sogar Subventionen“, erklärt Mohamed Cissé, der sich mit seiner Frau und den vier Töchtern ein Jahr lang in Ségou im Zentrum Malis in Sicherheit gebracht hatte.

„Viele kehren aber nur deshalb heim, weil sie sich die hohen Mieten in anderen Landesteilen nicht mehr leisten können. In Timbuktu haben wir wenigstens unsere eigenen Häuser“, sagt der 54 Jahre alte Schreiner. „Aber wir fürchten um unser Leben.“

Die 13 Jahre alte Schülerin Aminata Ahmed Dicko hat den Terror der Islamisten hingegen hautnah miterlebt: Zusammen mit ihren Eltern und sechs Geschwistern blieb sie in Timbuktu. Der Schock über das Erlebte sitzt tief: „Was die Extremisten getan haben, hat mit Islam nichts zu tun“, meint sie. „Wir dachten zuerst, sie seien nett, aber dann haben sie Mädchen vergewaltigt und Dieben die Hände abgehackt.“ Zwar geht Aminata wieder zur Schule, aber voller Furcht vor Repressalien. „Es sind noch immer Islamisten in der Gegend. Sie wollen keine Schulbildung und sagen, sie sei islamfeindlich.“

Alle in Timbuktu leben mit der traurigen Gewissheit, dass sehr viel Zeit vergehen wird, bis das Leben wieder so ist, wie es einmal war – wenn dies überhaupt möglich ist. Denn die historische Karawanenstadt, die seit 1988 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, ist auf den Tourismus angewiesen.

Bis 2012 stammten 80 Prozent aller Einnahmen aus diesem Sektor. Jetzt traut sich kein Urlauber mehr her. Von 20 Hotels haben erst drei wieder geöffnet. „Es ist noch so gefährlich, dass ich Touristen nicht mit reinem Gewissen raten kann, nach Timbuktu zu kommen“, sagt Tourismuschef Sane Chirfi Alpha.

 
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