Der „Big Bang“ des Emmanuel Macron war mit so viel Wirbel angekündigt worden, dass die größte Überraschung nach seiner Pressekonferenz am Donnerstag darin bestand, dass die Überraschung ausblieb. Dem französischen Präsidenten, den die Proteste der „Gelbwesten“ schwer in Bedrängnis bringen, blieben nur zwei Möglichkeiten: zurückzuweichen – oder weiter nach vorne zu marschieren in der Hoffnung, die Franzosen mögen ihm folgen.
Nach fast zweieinhalb Stunden brillanter Rhetorik stand fest, dass sich Macron für Zweiteres entschieden hatte. Kein Zurück, sondern die Beschleunigung seines Kurses, mit dem er eine gerechtere Gesellschaft verspricht. Damit bereitete er geschickt den Boden für seine umstrittene Reform des Rentensystems und der Arbeitslosenversicherung.
Die Unterstützung für die „Gelbwesten“ sinkt
Das ist die riskantere, die kühnere Variante. Mit einer symbolträchtigen Geste wie der Wiedereinführung der Reichensteuer hätte der Staatschef viele „Gelbwesten“ besänftigen und ihnen einen Erfolg im Machtkampf zugestehen können. Er hätte aber seine eigene Überzeugung verleugnet: Er will Gutverdiener nicht aus dem Land treiben, sondern zu Investitionen anreizen. Die enttäuschten „Gelbwesten“ rufen also zu neuen Kundgebungen auf. Ob sie nochmals großen Druck aufbauen können, erscheint dennoch fraglich: Die Unterstützung in der Bevölkerung sinkt.
Außerdem plant Macron durchaus soziale Kurskorrekturen, nachdem ihm selbst bisherige Anhänger vorwarfen, seine neoliberale Politik begünstige zu einseitig die Wirtschaft und die Starken der Gesellschaft. Er will die kleinen Renten anheben und wieder an die Inflation ankoppeln, die Steuern in Höhe von fünf Milliarden Euro senken und stellt sein eigenes Ziel infrage, 120 000 Beamtenstellen abzubauen. Dieses erscheint unvereinbar mit der Ankündigung, die Schülerzahl in allen Vor- und Grundschulklassen auf 24 zu beschränken – eine starke Maßnahme, weil sie bei der Erziehung und Ausbildung der Kleinsten ansetzt. Damit einhergehend bestärkte der Präsident seine in Frankreich unpopuläre Philosophie, dass jeder Bürger sich auch selbst anstrengen muss, während der Staat lediglich die Rahmenbedingungen für die Entfaltung schaffen kann.
Chancengleichheit fängt schon in frühester Kindheit an
In der Tat ist das heute nicht der Fall. Ausgerechnet das Land, das sich die Chancengleichheit aller auf seine Fahnen schreibt, sortiert ab der frühesten Kindheit aus: Wo man aufwächst und welche Schule man besucht, entscheidet über den weiteren Weg. Macron hat Abhilfe versprochen – auch mit der Aufwertung des Lehrerberufs, welcher in Frankreich vergleichsweise schlecht bezahlt ist. Nun kommt es darauf an, dies wirklich umzusetzen.
Dasselbe gilt für sein Versprechen, das Land nicht mehr nur von einer technokratischen Elite regieren zu lassen, mit der er sich auch selbst umgibt. Die Abschaffung der Kaderschmiede Ena erscheint dafür als ein starkes Symbol, um die Ausbildung der Führungskräfte zu modernisieren. Zu begrüßen ist auch die versprochene Dezentralisierung, um den Gebietskörperschaften mehr Kompetenzen zu geben und das Ausbluten ländlicher Gebiete zu stoppen, indem dort öffentliche Dienste angesiedelt werden.
Doch Macron darf es nicht bei wohlklingenden Willenserklärungen lassen, er muss handeln. Selbst dann werden die Effekte nicht sofort, sondern erst mittelfristig erkennbar sein. Sollte es ihm aber gelingen, durch bessere Schul- und Ausbildung der krassen Ungleichheit im Land zu begegnen und Ressourcen durch Dezentralisierung gerechter zu verteilen, wäre das wichtiger für Frankreich als jeder laute „Big Bang“.