Bei den Parlamentswahlen in Frankreich gelang dem Präsidenten mit seiner Partei „La République en marche“ zwar eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Doch sie ist geringer als erwartet – und die Wahlbeteiligung war so gering wie nie.
Eine Überraschung war der Triumph für Emmanuel Macron nicht mehr – dafür schienen die Umfragen und die Stimmung im Land zu eindeutig. Doch die Reaktionen im Lager von Macron waren trotzdem verhalten.
Zwar hat REM, die erst ein gutes Jahr junge politische Formation, eine absolute Mehrheit bei den Parlamentswahlen gewonnen. Dabei war das Ergebnis weniger überwältigend als erwartet: Statt der angekündigten 400 von insgesamt 577 Sitzen sind es ersten Hochrechnungen zufolge nur rund 355. Wer die neuen REM-Parlamentarier eigentlich sind, das werden die Franzosen großteils erst noch entdecken: Viele der Kandidaten haben vorher keine Politik gemacht, standen im Berufsleben, müssen das Metier des Abgeordneten erst noch lernen.
Während viele für das „Etikett REM“ gewählt wurden, drohten zahlreichen bekannten Gesichtern, ausgesiebt zu werden.
Eine andere Lektion aus dem Votum ist die Wahlbeteiligung, die schon bei der ersten Runde mit gut 48 Prozent schwach blieb. Am Sonntag ging sie nochmals zurück auf historisch niedrige 42 Prozent.
Sie kann als mangelnde Legitimation von REM gelesen werden, als Desinteresse der Menschen, zugleich aber auch als Zeichen dafür, dass Republikaner, Sozialisten, radikale Linke und Front National ihre Wähler nicht mobilisieren konnten.
Ihre Einbußen sind nach ersten Hochrechnungen enorm: Die Republikaner und ihre Verbündeten können sich noch als stärkste gegnerische Kraft halten, während die Sozialisten, die bisher gemeinsam mit ihrem grünen Bündnispartner fast 300 Mandate innehatten, tief fallen – doch der Absturz ist immerhin weniger dramatisch als erwartet.
Trotzdem zeigt das Ergebnis, wie wenig mehrheitsfähig die Linksausrichtung ist, die die Partei seit der Kür von Benoît Hamon zum Präsidentschaftskandidaten einschlug – zumal sie sich damit in direkter Konkurrenz mit dem Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon befindet. Viele Anhänger einer sozialdemokratischen Linie haben sich längst Macron angeschlossen, der die politische Mitte besetzt.
Das Ergebnis für Mélenchons Partei „Das Frankreich, das sich nicht unterwirft“ ist verhältnismäßig achtbar und trotzdem enttäuschend – bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl war der 65-Jährige mit 19,6 Prozent der Stimmen nur knapp an vierter Stelle gelandet. Auch für den Front National wurden die Parlamentswahlen eine herbe Niederlage, nachdem Parteichefin Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen die zweite Runde erreicht hatte. Zumindest konnte sie ein Abgeordnetenmandat in der nordfranzösischen Bastion Hénin-Beaumont erobern; darüber hinaus dürfte es sieben weitere Sitze geben – also deutlich weniger als die erforderlichen 15 Mandate, um eine eigene Fraktion zu bilden.
Im Vergleich zu den Parlamentswahlen vor fünf Jahren hat der Front National massiv an Stimmen eingebüßt. Ihm stehen nun wohl heftige interne Debatten über die politische Linie, aber auch einige umstrittene Führungspersönlichkeiten bevor – so wie allen anderen Parteien auch.
Die Resultate bringen für diese nicht nur einen Machtverlust mit sich, sondern stellen auch einen bedeutenden ökonomischen Rückschlag dar.
Denn ein großer Teil von deren Finanzierung berechnet sich aus der Zahl der Abgeordneten sowie der eingefahrenen Stimmen. Da jeder Parlamentarier seiner Partei jährlich 37 280 Euro einbringt, die zudem 1,42 Euro pro Stimme im ersten Wahldurchgang erhält, stehen vor allem Republikanern und Sozialisten Einbußen in Millionenhöhe bevor. Zweitere werden wohl ihren Parteisitz im schicken siebten Arrondissement von Paris aufgeben müssen, dessen Wert auf 50 Millionen Euro geschätzt wird.
So sind Macron, seine Partei und Regierung die einzigen, die gestärkt aus dem Votum hervorgehen. Die Parlamentswahlen werden oft auch als „dritte Runde der Präsidentschaftswahlen“ bezeichnet, auf die sie folgen, da dann bestimmt wird, wie handlungsfähig der soeben gewählte Präsident künftig eigentlich ist. Denn im Fall des Sieges einer anderen Partei stellt diese den Regierungschef, wobei Macron dies vorwegnahm, indem er das Steuer ohnehin bereits an den Konservativen Édouard Philippe als Premierminister übergab.
Ohne absolute Mehrheit hätte REM bei der Abstimmung über einzelne Gesetze jeweils um Unterstützung von Abgeordneten oder Fraktionen anderer Parteien werben müssen. Nun kann Macron vielmehr „durchregieren“ – wie es die Franzosen offensichtlich wünschten.
„Für viele, die bisher eigentlich keine Fans von Macron waren, stand fest, dass es logisch ist, seiner Partei ihre Stimme zu geben, damit der Präsident in Aktion treten kann“, sagte der 31-jährige Florent, der eigentlich eher ein Linkswähler ist, im bürgerlichen Pariser Vorort Saint-Mandé lebt und dort ebenfalls für REM stimmte – denn der einzige Gegenkandidat war ein Konservativer, den er verhindern wollte. „Die Menschen haben es geschluckt: Jetzt ist Macron dran. Soll er was draus machen.“
Die Nationalversammlung ist das Machtzentrum des französischen Parlaments. Ihre 577 Abgeordneten tagen im altehrwürdigen Pariser Palais Bourbon direkt an der Seine, sie werden für fünf Jahre direkt vom Volk gewählt.
Die Nationalversammlung ist zwar nur eine von zwei Kammern des Parlaments; der Senat hat bei der Verabschiedung von Gesetzen mitzureden. Doch falls die Parlamentskammern sich nicht einigen, sitzt die Nationalversammlung am längeren Hebel: Die Regierung kann ihr dann das letzte Wort lassen.