„Ich verkünde euch gute Nachrichten“, hatte noch am Abend zum Freitag ein Mitglied der Königsfamilie frohgemut getwittert. „Dem Hüter der beiden Heiligen Stätten geht es gut und an den Gerüchten, die im Umlauf sind, ist nichts dran“. Keine drei Stunden später wurde dann im Staatsfernsehen das offizielle Kommuniqué des saudischen Hofes verlesen – Monarch Abdullah bin Abdulaziz ist tot, gestorben um ein Uhr früh im King Abdulaziz Medical City Hospital in Riad an den Folgen einer Lungenentzündung.
Bereits am Nachmittag nach dem Freitagsgebet wurde der 90-Jährige in Riad auf dem Friedhof beigesetzt, wo die gesamte Königsfamilie begraben liegt. Zu der Trauerfeier in Riad waren neben den Golfpotentaten auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Pakistans Regierungschef Nawaz Sharif angereist. Noch in der Nacht wurde der 79-jährige bisherige Kronprinz Salman bin Abdulaziz zum Nachfolger proklamiert, der eine dreitägige Staatstrauer verkündete. Er werde die Richtung des Königreiches nicht ändern, erklärte er in einer kurzen Mitteilung an das Volk und forderte seine Landsleute auf, zusammenzustehen und Einigkeit zu zeigen. Die Bürger der Hauptstadt Ryadh wurden gebeten, zum Palast zu kommen und dem neuen Herrscher Gefolgschaft zu schwören.
Unmut über 8000 Prinzen
Für das arabische Königreich mit den größten Rohölreserven der Welt kommt Abdullahs Tod zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Im Inneren wie im Äußeren türmen sich die Probleme wie selten zuvor. Ob der neue Monarch Salman überhaupt amtsfähig ist, daran bestehen erhebliche Zweifel. Er leidet offenbar unter den Folgen eines Schlaganfalls, möglicherweise auch unter beginnender Demenz. Zwar hatte Salman in den letzten Monaten einen dichten öffentlichen Terminkalender, doch nach der ersten Begrüßung würden seine Sätze rasch „inkohärent“, berichteten Beobachter.
Der bisherige Vizekronprinz Muqrin bin Abdulaziz, der nun als neuer Kronprinz nachrückte, ist mit 69 Jahren der jüngste noch lebende Spross von Abdulaziz al-Saud, jedoch unter den 34 thronberechtigten Familienstämmen umstritten. Aus Sicht einiger mächtiger Wüstenaristokraten hat der in Großbritannien ausgebildete Kampfpilot keinen Anspruch auf den Thron, weil er von einer jemenitischen Sklavin abstammt, die der Staatsgründer seinerzeit als 15-Jährige schwängerte. Und so verweigerten nach Muqrins Ernennung sieben der 34 Repräsentanten im so genannten Huldigungsrat ihre Zustimmung oder enthielten sich der Stimme – Indiz für wachsende Spannungen innerhalb des weit verzweigten Königsclans.
Aber auch in der Gesellschaft gärt es. Im saudischen Cyberspace wächst der Unmut über die Schmarotzerklasse der rund 8000 Prinzen und der mit ihnen verbundenen Familien, einer superreichen Petrol-Nomenklatura von etwa 100 000 Personen. Bei der Zahl der Twitter-Botschaften pro Kopf liegt Saudi-Arabien inzwischen vor den Vereinigten Staaten. In keinem Land gibt es mehr Youtube-Nutzer als in der Heimat des Propheten Mohammed, wo jeden Tag 90 Millionen Videos abgerufen werden. Auf Facebook werden Korruptionsfälle teilweise detailgenau ausgebreitet und skurrile Fatwas wahabitischer Scheichs verspottet. Als Reaktion erließ Saudi-Arabien ein Gesetz gegen so genannte Cyber-Kriminalität, das derartige Onlinekritik unter Strafe stellt. Gleichzeitig wurden Menschenrechtler und Dissidenten serienweise mit Prozessen überzogen wegen „Unruhestiftung“, „Verleumdung des Königreiches“ und „Rebellion gegen die Autoritäten“. Die öffentliche Auspeitschung des Bloggers Raif Badawi vor der Al-Jafali-Moschee in Jeddah hat Saudi-Arabien weltweit in Misskredit gebracht. Im letzten Jahr wurden mehr als 80 Menschen in Saudi-Arabien öffentlich enthauptet, eine Praxis, die das Königreich auch im Januar demonstrativ fortführte.
Bescheidenes Auftreten
Abdullah, der als junger Mann stotterte, kam 2005 nach dem Tod seines durch einen Schlaganfall gelähmten Halbbruders König Fahd auf den Thron, dessen Amtsgeschäfte er bereits seit 1996 geführt hatte. Schnell gewann er die Herzen der Bevölkerung, weil er persönlich sehr bescheiden auftrat. Er schuf die Anrede „Seine Majestät“ ab, hielt jede Woche eine Sprechstunde für einfache Leute in seinem Palast und verbot den Besuchern, ihm bei der Begrüßung seine Hand zu küssen.
Abdullah verfolgte einen moderaten Modernisierungskurs. Mehr als 100 000 junge Frauen und Männer konnten während seiner knapp zehnjährigen Amtszeit mit Regierungsstipendien im Ausland studieren. Der Monarch schränkte die Macht der Religionspolizei ein und berief zum ersten Mal mit Nora al-Fayiz eine Frau in die Regierung, die als Vize-Bildungsministerin für die Mädchenbildung zuständig ist. Zudem krempelte er den 21-köpfigen Rat der islamischen Rechtsgelehrten um, das mächtigste Instrument der frommen Hardliner. Erstmals sind nun auch die liberaleren islamischen Rechtsschulen wieder vertreten.
Während des Arabischen Frühlings stellte König Abdullah seine Untertanen mit zusätzlichen 130 Milliarden Dollar für Gehaltserhöhungen, neue Stellen und billige Wohnungskredite politisch ruhig. Dem abgesetzten tunesischen Diktator Zine el-Abidine Ben Ali gewährte er Asyl. In Bahrain ließ er Truppen einmarschieren, um dem dortigen sunnitischen Königshaus zu helfen, den Aufstand der schiitischen Mehrheit zu unterdrücken. Die Machtübernahme von Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sissi in Ägypten, der den Muslimbruder-Präsidenten Mohamed Mursi mit Militärgewalt absetzte, unterstützte Abdullah mit Milliardensummen.
Der neue König Salman ernannte als erste Amtshandlung seinen Sohn Mohammed bin Salman zum neuen Verteidigungsminister, dem wichtigsten Posten zur Absicherung der Königsmacht. In Jedda und Riad, den beiden größten Städten des Königreiches, waren die Straßen den ganzen Tag über sehr ruhig, auch weil an Freitagen alle Geschäfte geschlossen sind und die Arbeit ruht. Selbst in den sozialen Netzwerken herrschte ein eher gedämpfter Ton. Manche erklärten eine dreitägige Twitterpause aus Respekt vor dem Verstorbenen.
„Er war wie ein Vater“
„Abdullah war nicht nur der König, er war auch wie ein Vater“, postete eine junge Frau aus Riad. Die Aktivistinnen für „Frauen am Steuer“ dagegen kommentierten den Tod des Monarchen lediglich indirekt mit den Worten „für alle Kreaturen – ob groß oder klein – von euch bleibt nichts übrig als eure Taten und euer Grab. Nur Gott existiert für immer.“ Abdullah habe das Land vorangebracht, wir verdanken ihm viel, urteilte dagegen ein wohlhabender Geschäftsmann aus Jeddah, dessen Familie eine der größten Baufirmen des Landes gehört und der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Eine so große Gesellschaft wie die saudische sei nun einmal schwer zu steuern. Der König habe sich vielleicht mehr Reformen gewünscht, habe aber nur so schnell vorangehen können, wie die Gesellschaft mitziehe. Insgesamt befinde sich Saudi-Arabien auf einem guten Weg und brauche sich nicht um die Zukunft zu sorgen. „Ich bin absolut sicher, dass der neue König nahtlos an die bisherige Linie anknüpfen wird.“