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BERLIN
Machtprobe einer nervösen Koalition
GERMANY-POLITICS-INTELLIGENCE-ESPIONAGE-GOVERNMENT       -  Innenminister Horst Seehofer und SPD-Vorsitzende Andrea Nahles verlassen nach der Krisensitzung das Kanzleramt.
Foto: John Macdougall, afp | Innenminister Horst Seehofer und SPD-Vorsitzende Andrea Nahles verlassen nach der Krisensitzung das Kanzleramt.
Von Georg Ismar (dpa)
 |  aktualisiert: 02.04.2019 12:06 Uhr

Es sind zwei Sätze, um 12.08 Uhr per E-Mail verschickt. Sätze mit Sprengkraft. Die SPD-Spitze fordert von Kanzlerin Angela Merkel kategorisch, dass sie Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen absetzt oder er zurücktritt. Generalsekretär Lars Klingbeil verkündet: „Für die SPD-Parteiführung ist völlig klar, dass Maaßen gehen muss. Merkel muss jetzt handeln.“ Am Morgen hieß es zunächst, die SPD mache Maaßen nicht zum „Casus Belli“, zum Kriegsgrund.

Ohnehin dürften im Land nur wenige Menschen verstehen, was los ist in Berlin – alles platzen lassen wegen eines umstrittenen Interviews im Zusammenhang mit den fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Chemnitz und Zweifeln Maaßens an der Authentizität eines Videos?

Am Nachmittag dann kommt Merkel mit Nahles und Maaßens oberstem Dienstherren, CSU-Innenminister Horst Seehofer, im Kanzleramt zu einem Krisentreffen zusammen. Das Trio ist in einer verzwickten Lage – und jeder für sich auch. In Koalitionskreisen heißt es, keiner der drei könne derzeit ein Interesse daran haben, dass die Regierung platzt und es eine vorgezogene Neuwahl gibt – gerade angesichts der Erfolge der AfD.

Merkel stünde ein Jahr nach der Bundestagswahl wohl vor dem Ende ihrer politischen Karriere, nur ein halbes Jahr nach der Vereidigung ihres vierten Kabinetts. Und Seehofers Pfund im latenten Machtkampf mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder ist immer noch das Ministeramt in Berlin.

Hinter vorgehaltener Hand heißt es in der Koalition, dass die Regierung über den Streit um einen Spitzenbeamten zerbreche – das sei die Personalie Maaßen nicht wirklich wert. Man dürfe nicht leichtfertig zulassen, dass aus der Belastung der Koalition durch Maaßen eine Regierungs- oder Staatskrise werde. Nach 90 Minuten endet am Nachmittag das Spitzengespräch im Kanzleramt – man habe sich vertagt, heißt es.

Bei der SPD ist mächtig Druck im Kessel. Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz werden seine blassen bis arroganten Auftritte angekreidet. Von „Kommunikationsdürre“ spricht ein einflussreicher Abgeordneter. Nahles hat ein großes Imageproblem. Im Zusammenhang mit dem Streit über Maaßen entlädt sich bei der SPD nun die Sehnsucht nach klarer Kante. Denn Nahles hatte klare Belege für Maaßens Aussagen eingefordert, dass es keine „Hetzjagden“ auf Ausländer in Chemnitz gegeben habe, dafür aber „gute Gründe“, von einer Falschinformation auszugehen. Es ist die erste Sitzungswoche des Bundestags nach der Sommerpause, aus der das Land anders herausgekommen ist, als es hineingegangen ist.

Die Vorgänge in Chemnitz und in Köthen haben die Stimmung im Land beeinflusst, die Auseinandersetzung der etablierten Parteien mit der AfD hat zumindest kurzfristig an Schärfe gewonnen.

Bei Maaßen geht es der SPD auch ums Grundsätzliche. Steht er auf der richtigen Seite im Ringen um eine zunehmend instabile Demokratie und im energischen Kampf gegen Rechtsextremismus? Unbestritten sind die fachlichen Qualifikationen des Fachjuristen, der einst über „Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht“ promovierte.

Aber nicht nur Juso-Chef Kevin Kühnert, der schon den Widerstand gegen die erneute Große Koalition anführte, wirft Maaßen Relativierungen von rechten Attacken vor – und einen Tabubruch.

 
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