Vermutlich ist es an der Zeit, ein Buch zu erwähnen, das im Königreich in Kürze auf dem Markt erscheint. Darin versucht ein Mann, seine politische Amtszeit reinzuwaschen, die unzählige Briten am liebsten vergessen oder besser noch ungeschehen machen würden. David Cameron ist der Autor, jener Ex-Premier, der 2016 das EU-Referendum ansetzte und damit hauptverantwortlich für die beispiellose Krise ist, in der Großbritannien nun steckt. Man darf den Erscheinungstermin ohne Zweifel als unpassenden Moment bezeichnen – insbesondere, weil das Drama jetzt vollends zu eskalieren droht.
Am Dienstag, wenn die Abgeordneten aus den Ferien zurückkehren, beginnt die Woche des Showdown. Hier die Regierung unter Premierminister Boris Johnson, die das Land, „komme, was wolle“, im Notfall auch ohne Abkommen am 31. Oktober aus der EU führen will. Dort die Gegner eines ungeregelten No-Deal-Brexits, denen die Zeit davonläuft. Wer als Gewinner aus der Kraftprobe herausgehen wird, ist völlig unklar. Dass danach in Westminster nichts mehr so sein wird wie zuvor, dagegen schon. Die Entrüstung ist groß, nachdem Johnson in der vergangenen Woche angekündigt hat, dem Parlament eine Zwangspause verordnen zu wollen.
Von „Diktatur“ reden seine Kritiker, sie werfen dem Regierungschef vor, die Demokratie aushebeln zu wollen, auch wenn sich Johnson einer Option bedient hat, die die britische Tradition bietet. Ob sich der Brexit-Hardliner mit seinem Manöver aber einen Gefallen getan hat, muss sich noch herausstellen. Nicht nur, dass sich Gerichte mit dem „Verfassungsbruch“ beschäftigen. Hinter den Kulissen liebäugeln konservative Parlamentarier damit, mit dem politischen Gegner der oppositionellen Labour-Partei zu paktieren, um einen parteiübergreifenden Gesetzentwurf zu verabschieden, der den Austritt ohne Abkommen verhindern soll. Dadurch würde Johnson gezwungen, bei der EU eine Verlängerung der Scheidungsfrist zu beantragen.
Ob das Zweckbündnis mit solch einem Vorstoß Erfolg haben könnte, ob überhaupt die Zeit ausreicht, bezweifeln Beobachter. Dabei versichert Johnson regelmäßig, er wolle bei der EU einen besseren Austrittsvertrag aushandeln. Seinen Widersachern wirft er vor, sie torpedierten seine Chance, die EU zu Zugeständnissen zu zwingen. Änderungen fordert er vor allem beim umstrittenen Backstop. Die Brextremisten wollen die Garantieklausel für eine offene Grenze auf der irischen Insel streichen und verlangen stattdessen Alternativlösungen. Brauchbare Vorschläge, wie diese aussehen könnten, blieben sie bislang schuldig.
Von Ideologien beflügelte Illusionen und die harsche Realität prallen an der irischen Grenze aufeinander, nur scheint das Problem weit genug von der Londoner Blase entfernt, als dass die Hardliner es ernstnähmen. Fakten? Im völlig polarisierten Brexit-Britannien gehen sie schon lange im Getöse unter. Auch wenn zahlreiche Abgeordnete jetzt mit allen Mitteln für ein geordnetes Ausscheiden kämpfen, die meisten von ihnen haben in den ersten Monaten dieses Jahres drei Mal das Abkommen abgelehnt, das Johnsons Vorgängerin Theresa May mit der EU vereinbart hatte. Das Unterhaus hat sich im Grunde selbst ausgeschaltet.
Das nutzt der neue Premier aus, präsentiert sich im Machtpoker unnachgiebig und autoritär. In Trump-Manier werden kritische Mitarbeiter entlassen und Parlamentarier, die sich bei den kommenden Abstimmungen gegen die Linie der Regierung stellen, droht das Karriere-Aus innerhalb der Tory-Partei. So werde ihnen verboten, bei künftigen Parlamentswahlen für die Konservativen anzutreten. Zu einer Wahl könnte es schon in den nächsten Wochen kommen, etwa wenn die Opposition ein Misstrauensvotum gegen Johnson stellt und er dieses verliert. Oder wenn der Regierungschef selbst Neuwahlen ausruft. Labour unter Jeremy Corbyn fordert zwar seit Jahren genau das, will aber eigentlich verhindern, dass Johnson den Wahltermin auf Anfang November legt – und damit auf die Zeit nach dem Austritt der Briten aus der EU. Das würde einen chaotischen Brexit wahrscheinlicher machen.