Es könnte eine Szene aus der erfolgreichen US-Politserie „House of Cards“ sein. Eine Woche vor der Wahl des neuen Präsidenten im Europäischen Parlament geraten die Kräfteverhältnisse in der Volksvertretung ins Wanken. Noch kurz vor dem Wochenende hatte der Vorsitzende der Liberalen, Guy Verhof-stadt, seine lang erwartete Kandidatur offiziell gemacht. Doch dem früheren Ministerpräsidenten Belgiens fehlen die nötigen Stimmen für eine Mehrheit – er muss Verbündete finden. Ausgerechnet die als linkspopulistisch geltende euroskeptische Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) des italienischen Komikers Beppe Grillo wollte ihm dafür zur Seite stehen.
Noch am Montagabend wollte der Fraktionsvorsitz darüber beraten, an diesem Dienstag sollten die 68 Liberalen abstimmen. Doch am Abend zog der Fraktionschef dann dramaserienreif selbst die Notbremse: „Es gibt zu wenig gemeinsame Grundlagen, um den Wunsch der Fünf-Sterne-Bewegung, sich der ALDE-Gruppe anzuschließen, Folge zu leisten“, teilte Verhofstadt am Abend überraschend mit: Zu viel trenne beide Seiten bei „europäischen Schlüsselthemen“.
Dabei hatten die Mitglieder der M5S in einer Online-Abstimung bereits mit großer Mehrheit (78,5 Prozent) für den Beitritt gestimmt. Damit wären die Liberalen zur drittgrößten Partei im Parlament aufgestiegen – und ihr Kandidat Verhof-stadt hätte damit ein stärkeres Standbein für die bevorstehende Wahl gehabt. Doch auch der deutsche FDP-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff schien erleichtert über den Entschluss seines Fraktionschefs: „Wir alle waren völlig entgeistert von der Vorstellung, so eine Partei bei uns aufzunehmen“, sagte der Parlamentsvizepräsident unserer Zeitung. Die Fünf-Sterne-Bewegung sei gegen einen ausgeglichenen Haushalt, gegen den Euro und gegen das Freihandelsabkommen Ceta – alles Dinge, für die sich die ALDE-Fraktion wiederum eingesetzt hatte.
Dass die Aufnahme der Fünf-Sterne-Bewegung keine Liebesheirat geworden wäre, war indes absehbar, wie eine Analyse der Nichtregierungsorganisation (NGO) Vote Watch Europe zeigt. Demnach überschneidet sich das Abstimmungsverhalten der Italiener nur zu etwa 50 Prozent mit dem der Liberalen.
Umso überraschender kam die Ankündigung Grillos, gemeinsame Sache mit den Liberalen machen zu wollen. Viel näher gelegen hätte der NGO zufolge eine Verbindung mit der Fraktion der Linken. Womöglich sucht der Linkspopulist nun doch den Kontakt zum linken Flügel des Europäischen Parlaments – denn die bisherige Fraktion mit der EU-skeptischen britischen UKIP, deren Ziel mit dem Brexit-Referendum zum Greifen nahe ist, dürfte nicht von allzu langer Dauer sein.
Verhofstadts Suche nach Verbündeten geht indes weiter. Noch heute stellt er sich einer Befragung der Grünen (50 Sitze). In der vergangenen Woche hatten die Sozialdemokraten eine „Abmachung jedweder Art“ mit Verhofstadt jedoch ihrerseits als „ausgeschlossen“ deklariert. Schließlich will die zweitgrößte Fraktion (189 Abgeordnete) ihren eigenen Mann, Gianni Pittella, als Nachfolger des scheidenden Martin Schulz sehen. Allerdings fehlt auch ihnen die Mehrheit, ebenso wie den Konservativen (217 Sitze), die mit dem ehemaligen EU-Industriekommissar und früheren Sprecher von Silvio Berlusconi, Antonio Tajani, ins Rennen gehen. Die Suche nach Unterstützungswilligen geht weiter.