Nach einem Jahr haben die Unruhen in Syrien nun auch das Regierungsviertel der Hauptstadt Damaskus erreicht. Demonstranten forderten in Hörweite des Präsidentenpalasts Baschar Assads Rücktritt, Soldaten schossen mit scharfer Munition. Der Krieg in Syrien – das strategische Drehkreuz des Nahen Ostens – ist längst kein einfacher Bürgerkrieg mehr, sondern ein Ringen vieler Staaten um regionalen Einfluss.
Der Mezzeh Distrikt gilt als das teuerste und nobelste Viertel der Hauptstadt, Sitz der Hauptquartiere der Regierungspartei Baath und des gefürchteten Luftwaffengeheimdiensts. Am Samstag füllte jedoch ein neues Publikum die Straßen des Edelviertels: Bis zu 30 000 Menschen nahmen an einem Trauerzug für drei Demonstranten teil, die am Tag zuvor von Sicherheitskräften getötet worden waren. Sie forderten das Ende der Herrschaft von Präsident Baschar Assad. Die Armee reagierte mit Tränengas und scharfer Munition. Nach einem Jahr ist es der Opposition gelungen, ins Herz des syrischen Regimes vorzudringen.
Für die Revolution beginnt nun eine dritte Phase. In der ersten standen sich unbewaffnete Demonstranten und Soldaten gegenüber; in der zweiten leisteten Guerilla-Organisationen wie die Freie Syrische Armee (FSA) – ein loser Zusammenschluss syrischer Deserteure – den regimetreuen Streitkräften bewaffneten Widerstand. Die Kämpfe eskalieren: Immer mehr Soldaten laufen zur Opposition über, das Regime setzt schwere Waffen ein. In Homs soll am Wochenende alle vier Minuten ein Geschoss eingeschlagen sein.
Hilfe aus dem Ausland
Jetzt wird Syriens Bürgerkrieg zum Schauplatz eines Machtkampfes fremder Mächte. Moskau liefert Damaskus weiter Waffen, Venezuela schickte ein Schiff mit Dieselöl im Wert von 50 Millionen US-Dollar, das das unter Sanktionen leidende Syrien braucht, um Panzer aufzutanken. Zu den Gerüchten, libanesische und iranische Spezialeinheiten kämpften auf Assads Seite, gesellte sich die Ankunft einer iranischen Flottille. Ein Zerstörer und ein Versorgungsschiff würden Teherans „Botschaft des Friedens und Freundschaft“ überbringen, sagte Admiral Habibollah Sayari. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Schiffe Waffen und Munition für Assads Truppen liefern.
Auch die Opposition bekommt internationale Hilfe: Laut dem US-Sender NBC führen amerikanische Drohnen in Syrien Aufklärungsflüge aus – möglicherweise die Vorbereitung für ein militärisches Eingreifen der USA. Syrien behauptet, 49 türkische Geheimdienstler verhaftet zu haben, und verhandelt mit Ankara über deren Freilassung. Indiz dafür, dass die Türkei der FSA mehr als bloß Asyl gewährt. Der Irak will seine Grenze zu Syrien besser überwachen, weil Mesopotamien zu einem wichtigen Waffenlieferanten der Rebellen geworden ist. Und auch sunnitische Kämpfer sollen inzwischen aus dem Irak nach Syrien strömen. Der Kampf um Syrien hat somit die dritte Phase erreicht: Der Kreis derer, die in Mitleidenschaft gezogen werden, wird immer größer.