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BERLIN
Maaßen wollte mehr Beinfreiheit
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 02.04.2019 12:08 Uhr

Wäre alles anders gekommen, wenn sich Horst Seehofer im März anders entschieden hätte? Als Staatssekretär im Innenministerium war Hans-Georg Maaßen nach der Regierungsbildung im Gespräch, wird in Berlin kolportiert, zuständig für alle Fragen der inneren Sicherheit.

Für den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln wäre diese Beförderung nicht nur die Rückkehr in eine vertraute Behörde gewesen, in der er von 1991 bis 2012 Karriere gemacht und zuletzt den Stab Terrorismusbekämpfung geleitet hatte.

Sie wäre auch ein Stück weit die Belohnung dafür gewesen, das Amt nach den Versäumnissen und Pannen im Zusammenhang mit der Mordserie der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU grundlegend reformiert, gestärkt und wieder in ruhigeres Fahrwasser geführt zu haben.

Seehofer entschied anders

Doch Horst Seehofer, der in der letzten Nacht der Koalitionsverhandlungen das Innenministerium für sich beanspruchte, entschied anders. Staatssekretär für innere Sicherheit wurde der Jurist Georg Engelke – und der 55-jährige Maaßen blieb, was er war, Verfassungsschutzpräsident. Als Gegenleistung, so heißt es in Berlin, habe Maaßen für sich mehr „Beinfreiheit“ gefordert, also das Recht, freier agieren und sich offener äußern zu dürfen als dies eigentlich einem Beamten und Chef einer dem Innenminister untergeordneten Behörde zusteht.

Seehofer gewährte dies, warnte allerdings Maaßen davor, dass er dann auch für seine Äußerungen einstehen und die Verantwortung übernehmen müsse. So hielt er es auch, als Maaßen wegen seinen Äußerungen zu den Vorfällen in Chemnitz in die Kritik geriet. Er wolle keine Meinungen unterdrücken, sagte Seehofer, fügte aber hinzu: „Die Verantwortung für Formulierungen und seine Thesen bleiben natürlich bei ihm.“

Schon in der Vergangenheit hatte der Spitzenjurist und Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes, der in Köln mit einer Arbeit über die „Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht“ promoviert hatte, keine Gelegenheit ausgelassen, sich immer wieder deutlich und entschieden zu Fragen der inneren Sicherheit zu äußern und vor den Gefahren durch extremistische Gewalttäter zu warnen.

In der Politik wie in Sicherheitskreisen galt er als Idealbesetzung für den Schleudersitz an der Spitze der Kölner Behörde, ein Perfektionist, Jurist vom Scheitel bis zur Sohle, in Berlin bestens vernetzt, mit der Gabe pointiert zu formulieren und die Interessen seiner Behörde mit Nachdruck zu vertreten. Als er 2012 Präsident wurde, lag das Amt nach dem NSU-Skandal am Boden, Grüne und Linke forderten gar dessen Zerschlagung.

Er fühle sich „wie der Stadtbaudirektor von Köln nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagte der stets korrekt mit Dreiteiler und schmaler, goldumrandeter Brille gekleidete Maaßen, der mit einer Japanerin verheiratet ist und auch japanisch beherrscht. Doch in den parlamentarischen Debatten, die dem NSU-Skandal folgten, gelang es ihm, seine Behörde zu Lasten der Landesämter zu stärken und auszubauen, ihre Kompetenzen zu erweitern sowie deutlich mehr Geld und mehr Personal zu erhalten. Das hat ihm Anerkennung und Respekt eingebracht, vor allem bei der Union.

Bis heute nicht verziehen

„Maaßen hat sich mit seinen Aussagen etwas vergaloppiert, aber er ist ein starker und verlässlicher Behördenchef, der für den Schutz unserer Verfassung kämpft“, sagt beispielsweise der Heilbronner Innenexperte Alexander Throm von der CDU dieser Redaktion.

Sozialdemokraten, Grüne und Linke dagegen werfen ihm immer wieder vor, eitel, arrogant und überheblich zu sein und sich in die Politik einzumischen. So habe er sich in der Flüchtlingsfrage von Anfang an gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel positioniert.

Bis heute haben sie ihm aber auch sein Verhalten im Falle des im US-Gefangenenlagers Guantanamo inhaftierten Bremers Murat Kurnaz nicht verziehen. Als es 2002 um die Frage ging, ob die Bundesregierung eine Auslieferung von Kurnaz fordern solle, argumentierte er, dieser habe sein unbegrenztes Aufenthaltsrecht verloren, da er sich mehr als sechs Monate nicht in Deutschland aufgehalten und sich nicht bei den zuständigen Behörden gemeldet habe. Im BND-Untersuchungsausschuss wurde er wegen dieser Ansicht scharf kritisiert, die Freie Universität Berlin verweigerte ihm aus diesem Grund gar eine Honorarprofessur.

Trotz allem konnte sich Maaßen bislang auf die Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, von Günter Heiß, dem Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, und von Innenminister Horst Seehofer verlassen.

Für die SPD wie die Grünen, die Linken, aber auch die FDP, kam allerdings in jüngster Vergangenheit zu viel auf einmal zusammen – die Äußerungen zu Chemnitz, die Treffen mit AfD-Politikern mit dem Vorwurf, Maaßen habe Tipps gegeben, wie die AfD eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz vermeiden könne, sowie neue Erkenntnisse im Falle des Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz.

Die geduldige Frau Merkel

Obwohl mit Wissen von Maaßen ein V-Mann im Umfeld von Anis Amri platziert worden war, behauptete der Verfassungsschutzpräsident auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage Anfang 2017 das Gegenteil – und versuchte später, mithilfe einer Anwaltskanzlei eine Berichterstattung darüber zu verhindern.

Das alles zusammen war am Ende selbst für die SPD zu viel. Maaßen habe bei seinem Auftritt vor dem Innenausschuss des Bundestags am Mittwochabend „interpretiert, relativiert und semantische Spielchen betrieben“ sowie „den Krümel vier Mal gespalten“, sagt der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka dieser Redaktion. „Schlimmer noch: Er hat mühsam aufgebautes Vertrauen in den Verfassungsschutz zerstört und nichts unternommen, dieses Vertrauen in irgendeiner Weise wieder herzustellen.“

Nun liegt der Ball im Kanzleramt. Dort, nirgendwo sonst, entscheidet sich Maaßens Zukunft – und die der Großen Koalition. Merkel wird wohl nüchtern abwägen: Wer ist wichtiger – Maaßen oder die SPD? Gegen ihn spricht, dass er gegen die wichtigste Regel seines Jobs verstoßen hat. Ein Verfassungsschutz-Präsident hat schlechte Schlagzeilen zu verhindern, nicht zu verursachen. Da ist selbst die sonst so geduldige Kanzlerin am Ende ihrer Geduld.

 
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