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Lust, das andere Land zu entdecken
Das Gespräch führte Birgit Holzer
 |  aktualisiert: 09.10.2016 16:58 Uhr

Vor 50 Jahren wurde der Elysée-Vertrag unterzeichnet: Am 22. Januar 1963 besiegelten Deutschland und Frankreich ihre Freundschaft. Zugleich beschlossen die beiden Staaten die Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW), um den Austausch der Jugend zu gewährleisten. Seither profitierten fast acht Millionen junge Deutsche und Franzosen von den Programmen des DFJW. Generalsekretärin Béatrice Angrand über bisherige Entwicklungen und neue Herausforderungen:

Frage: Der deutsch-französische Historiker Alfred Grosser hat kürzlich gesagt, eines der wenigen konkreten Ergebnisses des Elysée-Freundschaftsvertrages zwischen Deutschland und Frankreich sei die Gründung des Deutsch-Französische Jugendwerks. Hat er recht?

Béatrice Angrand: Natürlich ist es konkret, wenn Hunderttausende junge Menschen jedes Jahr an einem Austausch teilnehmen. Es dauert wohl noch ein wenig, bis dieser Nachwuchs, der unsere Programme mitmacht, an einflussreiche Positionen kommt, bis man die Stimmen dieser jungen Menschen hört. Ich hoffe auch, dass das dann nicht nur diejenigen sind, die eine Elitehochschule oder das zweite Staatsexamen gemacht haben. Sondern dass auch junge Leute, die in einem schwierigen Viertel aufgewachsen sind, zu Entscheidungsträgern werden oder Unternehmen gründen, die sich im jeweils anderen Land niederlassen. Das Jugendwerk möchte alle erreichen.

Die Zahl derer, die die andere Sprache lernen, geht zurück. Viele suchen exotischere Ziele für Reisen oder Praktika als das Nachbarland. Kann sich die junge Generation von heute überhaupt noch fürs Deutsch-Französische begeistern?

Angrand: Ja, die Partnersprache hat ihren Reiz verloren. Jedoch schätze ich sehr, dass wir heute ohne die Emotionalität von früher auskommen. Sie war damals wichtig, denn eine Versöhnung macht man mit dem Herzen, nicht nur mit dem Kopf. Heute stehen wir einem Paradox gegenüber: Die deutsch-französische Beziehung ist banal geworden, aber trotzdem wichtig. Für die jungen Menschen steht fest, dass sie der erste Schritt zu Europa ist. Wer hätte sich diese Banalität vor 50 Jahren vorstellen können? Sie ist ein großer Erfolg. Dabei bleibt wichtig, an die Vergangenheit zu erinnern, um zu erkennen, dass die Beziehung nicht selbstverständlich ist. Die deutsch-französische Kooperation kann als Modell für andere Länder stehen, die früher verfeindet waren, beispielsweise auf dem Balkan, in manchen Gebieten Afrikas oder zwischen Japan und China. Die trinationalen und multinationalen Programme, die das DFJW anbietet, haben eine große Anziehungskraft gerade bei denjenigen, die noch nicht überzeugt sind.

Wie sprechen Sie diejenigen an, die wenig Bezug haben zum anderen Land, vielleicht auch die Sprache gar nicht sprechen?

Angrand: Ein Instrument hat sich immer bewährt: das Prinzip der Subsidiarität. Das DFJW kann nicht alle Begegnungen selbst durchführen, darum pflegen wir Netzwerke an Schulen, Hochschulen und an allen Orten, wo junge Leute sind, die als Multiplikatoren für unsere Arbeit fungieren. Wir haben ein Netz von je 50 Juniorbotschaftern in jedem Land, die vor Ort für unsere Programme werben. Die Aufgabe des DFJW ist nicht, eine Sprachpolitik zu entwickeln, aber Programme zu schaffen, die Lust wecken, das andere Land zu entdecken und die Sprache zu lernen.

Der französische Präsident Charles de Gaulle hat bei seiner Annäherung an Deutschland ganz konkret die Jugend angesprochen. Glauben Sie, auch heute geht der Fortschritt der deutsch-französischen Partnerschaft über die jungen Menschen?

Angrand: Ja, und leider wird auf der politischen Ebene, aber auch in der Wirtschaft viel zu wenig mit jungen Menschen gearbeitet. Zum Beispiel bei den Städtepartnerschaften beschweren sich die Älteren oft über Mangel an Nachwuchs, aber schaffen keinen Platz. Oder es wird nicht akzeptiert, dass sich junge Menschen manchmal nur zeitlich begrenzt engagieren wollen und nicht festlegen können. Heute wissen sie meistens nicht, wo sie in zehn Jahren sein werden. Man sollte auch darüber nachdenken, wie man ehrenamtliche Tätigkeiten anerkennen kann. Ich fände es fortschrittlich, die Kompetenzen, die man durch freiwilliges Engagement erwirbt, gemeinsam auf deutsch-französischer Ebene anzuerkennen. Das würde Anreize schaffen, ehrenamtlich aktiv zu werden. Wir sollten pragmatisch sein, um dieses Engagement zu erhalten.

Halten Sie die deutsch-französischen Beziehungen für etwas Besonderes, vielleicht sogar Einzigartiges?

Angrand: Der erste Eindruck prägt fürs Leben – das ist typisch für die deutsch-französischen Beziehungen. Denn unbewusst wird man durch die Teilnahme an einem deutsch-französischen Austausch ein Element in der Geschichte Europas, empfindet sich als Teil der europäischen Gemeinschaft. Deshalb ist der deutsch-französische Austausch so identitätsstiftend. Zugleich sind Deutsche und Franzosen so unterschiedlich, dass sie sich ergänzen und man in sich selbst einen Ausgleich findet. Als ob man in sich zwei unterschiedliche Systeme integrieren würde. Das bereichert, auch wenn es im Alltag manchmal schwierig ist.

Erstmals seit seiner Gründung erhält das DFJW eine Budget-Erhöhung um jeweils eine Million Euro aus Deutschland und Frankreich. Wie wollen Sie das zusätzliche Geld zum Budget von bisher insgesamt 20 Millionen Euro einsetzen?

Angrand: Diese Erhöhung freut uns sehr, denn die Politik setzt mit ihr ein Zeichen. Mit den zusätzlichen Mitteln wollen wir beispielsweise mehr Programme für berufliche Bildung finanzieren: mehr Stipendien für Praktika, mehr Förderung für den Austausch an Berufskollegs und von Azubis. Außerdem investieren wir mehr in bildungsferne Schichten, also Menschen, für die es nicht selbstverständlich ist, an einem deutsch-französischen Austausch teilzunehmen. Wir wollen auch noch mehr trinationale Programme anbieten. Dabei darf man nicht vergessen, dass unser Mehrbedarf, also die Anträge für Programme, die wir nicht bedienen können, fast drei Millionen Euro beträgt. Wenn manche also behaupten, das Deutsch-Französische sei eingeschlafen, sehen wir das ganz anders. Die Nachfrage ist groß, ob bei der beruflichen Bildung, bei Städtepartnerschaften, den Schulen oder im Sport.

Béatrice Angrand

Seit 2009 ist Béatrice Angrand die französische Generalsekretärin des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) – neben ihrem deutschen Pendant Markus Ingenlath. Zuvor arbeitete die 45-Jährige als Beraterin der Präsidenten des deutsch-französischen Fernsehsenders Arte und als Projektbeauftragte für den Entwicklungsplan. Von 1991 bis 1993 leitete sie das Institut Français in Rostock und von 1996 bis 1998 im rumänischen Timisoara. FOTO: LC

 
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