Sieben Stunden Bangen um das Leben von 62 Menschen an Bord eines gekaperten Jets der ägyptischen Fluggesellschaft Egyptair auf dem Flughafen von Larnaka auf Zypern – und dann die erlösende Nachricht: „Es ist vorbei“ meldete am frühen Dienstagnachmittag das zyprische Außenministerium über den Kurznachrichtendienst Twitter. Das Drama hatte ein gutes Ende genommen.
Die Egyptair-Maschine, ein Airbus A320, befand sich am Montagmorgen unter der Flugnummer MS181 auf einem Inlandsflug von Alexandria nach Kairo, als die Piloten Funkkontakt mit der Luftverkehrskontrolle Zyperns aufnahmen und um Landeerlaubnis in Larnaka baten. Statt in Kairo, wo die Maschine planmäßig um 7.15 Uhr landen sollte, setzte das Flugzeug um 8.46 Uhr Ortszeit in Larnaka auf. Die Kursänderung wurde von einem Mann erzwungen, der einen Sprengstoffgürtel zu tragen schien. An Bord waren 55 Passagiere, darunter 18 Ausländer, und sieben Besatzungsmitglieder.
Lange herrschte Rätselraten über die Motive und Absichten des Entführers. Die über Funk geführten, stundenlangen Verhandlungen der zyprischen Polizei mit dem Hijacker ergaben kein klares Bild. Mal hieß es, der Mann verlange, einen Vertreter der Europäischen Union zu sprechen. Dann kursierte das Gerücht, er fordere die Freilassung politischer Häftlinge in Ägypten. Auch hieß es, der Mann habe um politisches Asyl in Zypern nachgesucht. Möglicherweise war Liebeskummer im Spiel: Der Mann habe darum gebeten, einen Brief an seine Ex-Frau zu schicken, eine Zyprerin, die in Larnaka lebt. Er warf das Schreiben aus dem Flugzeug.
Über die Identität des Entführers kursierten zunächst widersprüchliche Angaben. Zeitweilig hieß es, es handele sich um einen Professor für Tiermedizin von der Universität Alexandria, was sich aber als Irrtum herausstellte. Die Behörden identifizierten ihn schließlich als den Ägypter Seif Eldin Mustafa. Er lebte mit seiner Ex-Frau bis 1994 in Zypern. Das Paar hat vier erwachsene Kinder.
Im Laufe des Vormittags ließ der Entführer die meisten Passagiere und Flugbegleiter frei. Einer der beiden Piloten konnte durch ein geöffnetes Cockpitfenster fliehen. Am Mittag erklärte das zyprische Außenministerium, die Entführung scheine offenbar keinen politischen Hintergrund zu haben. „Das hat nichts mit Terrorismus zu tun“, sagte der zyprische Staatspräsident Nikos Anastasiades vor Reportern.
Der Entführer sei in einem „labilen Zustand“ und mache einen verwirrten Eindruck, hieß es wenig später in Polizeikreisen. Für neue Unruhe sorgte am frühen Nachmittag ein über Twitter verbreitetes Foto, das den Hijacker in der geöffneten Kabinentür zeigte. Der Mann trug eine blaue Windjacke, deren Reißverschluss geöffnet war. Darunter waren der mutmaßliche Sprengstoffgürtel und mehrere Anschlussdrähte zu erkennen.
Das Bild weckte neue Befürchtungen über ein mögliches Blutvergießen. Doch dazu kam es nicht. Die letzten Geiseln verließen gegen 14.40 Uhr Ortszeit die Maschine. Danach blieb der Entführer allein an Bord zurück. Wenige Minuten später verließ er über die Treppe mit erhobenen Händen das Flugzeug und ergab sich der zyprischen Polizei. „Alle Passagiere und Besatzungsmitglieder sind frei und in Sicherheit“, meldete der zyprische Regierungssprecher über Twitter. Bei dem Sprengstoffgürtel handelte es sich um eine Attrappe, teilte die Polizei wenig später mit.
Trotz des glimpflichen Ausgangs weckt die Entführung neue Zweifel an den Sicherheitsvorkehrungen auf ägyptischen Flughäfen. Die Frage, wie der Mann den Sprengstoffgürtel, selbst wenn es sich um eine Attrappe handelte, unbemerkt durch die Sicherheitskontrolle an Bord bringen konnte, ist noch unbeantwortet. Im Oktober vergangenen Jahres stürzte ein in Ägypten gestarteter russischer Ferienflieger nach einer Bombenexplosion an Bord über der Sinai-Halbinsel ab. Alle 224 Insassen starben. Zu dem Anschlag bekannte sich die Terrormiliz IS. Fachleute rügen seit langem unzureichende Sicherheitskontrollen auf den ägyptischen Airports.
Es sei leicht möglich, unerlaubte Gegenstände durch die Kontrollen zu schmuggeln, sagen Kritiker. Nach dem Sinai-Absturz gingen die Touristenzahlen in Ägypten stark zurück. Die ägyptischen Behörden arbeiten inzwischen mit ausländischen Experten zusammen, um die Sicherheitslücken zu schließen. Aber zumindest bei der Abfertigung des Fluges MS181 gab es am Dienstagmorgen auf dem Flughafen Burg al-Arab von Alexandria offensichtlich erneut schwere Versäumnisse.
Flugsicherheit in Ägypten
Seit Monaten steht Ägypten wegen mangelnder Sicherheit im Luftverkehr in der Kritik. Auslöser war vor allem der Bombenanschlag auf einen russischen Ferienflieger im Oktober vergangenen Jahres. Die Maschine stürzte über der Sinai-Halbinsel ab, alle 224 Insassen starben. Zu dem Terrorakt hatte sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannt. Experten sprachen davon, es sei in Ägypten ohne Weiteres möglich, unerlaubte Gegenstände an Bord zu schmuggeln. Passagiere und ehemalige Ägypten-Urlauber berichteten von mangelhaften Sicherheitskontrollen: Trotz eines piependen Metaldetektors würde nicht jeder Fluggast abgetastet. Augenzeugen erzählten, wie Passagiere sich um Kontrollen am Gate gedrückt hätten.
Auch könnten geöffnete Getränkeflaschen oder Glasbehälter ohne Probleme im Handgepäck an Bord genommen werden. Der Tourismussektor in Ägypten durchlebt seitdem eine schwere Krise. Berichten zufolge soll die Branche jeden Monat mehr als 280 Millionen US-Dollar (255 Millionen Euro) verlieren. Britische Experten wurden beauftragt, die Sicherheit an den Flughäfen des Landes zu erhöhen.
Auch Fachleute aus Deutschland untersuchten die Sicherheitsstandards von Flughäfen in Touristenzielen am Roten Meer. dpa