Als Lothar Späth regierte, produzierte die Politik noch glänzende Bilder der Machtausübung: Späth auf Riesenjachten im Mittelmeer mit befreundeten Unternehmern, die die Welt mit ihren Produkten „Made in Baden-Württemberg“ versorgten. Späth unterwegs in der Welt als Türöffner in einer Zeit, als Atlantikflüge purer Luxus waren. Späth auch als dreimaliger Verteidiger der absoluten Mehrheit für die Südwest-CDU. Und als einer, der morgen auch Kanzler hätte sein können.
Der quirlige, umtriebige, fortschritts- und technikgläubige Lothar Späth gilt bis heute als Inbegriff eines gestaltenden Landespolitikers. Noch in diesem Jahr zog CDU-Kandidat Guido Wolf in den Wahlkampf mit dem Satz, dem Land fehlten Späths Visionen.
Der Name zieht noch immer als Sehnsuchtsbild. Kein Ministerpräsident vor ihm und keiner nach ihm wurde so sehr zur Chiffre für ein Politikverständnis, dass Stillstand Rückschritt bedeutet. Mit seinem gespitzten Mäuschenmund, der fast ohne Lippen auskam, seiner hohen Stirn und der nasalen, leicht lispelnden Stimme wurde der gebürtige Sigmaringer zur Marke. Den Spitznamen „Cleverle“ verdiente er sich redlich.
„58 Jahre ist Baden-Württemberg mit der CDU gut gefahren, in ihr hatten kluge und mutige Köpfe das Sagen – Ministerpräsidenten wie Lothar Späth, die sich große Verdienste um den Innovationsstandort Baden-Württemberg erworben haben“, würdigte ihn Ministerpräsident Winfried Kretschmann beim Grünen-Parteitag. Auch er wählte den Namen Späth, um sich in dessen Reihe zu stellen als „neue Baden-Württemberg-Partei“. Kretschmann reiste vor zwei Jahren auf dessen Spuren nach Spanien.
Vor fast 30 Jahren hatte Lothar Späth das Netzwerk der „vier Motoren Europas“ geschaffen: Baden-Württemberg sollte sich mit den wirtschaftsstarken Regionen Lombardei, Katalonien und Rhône-Alpes zusammenschließen. Die Idee trägt heute noch. Auch eine andere Idee hat bis heute nicht nur Konjunktur, sie gilt als Erfolgsfaktor Baden-Württembergs schlechthin: die duale Ausbildung in Betrieb und Schule. Schon Ende der 1980er Jahre reiste Späth als Werbebotschafter für dieses Modell durch die Welt, bis nach Asien trieb er dessen Ruf. Dass bis heute, wenn überhaupt, allenfalls Europäer das Modell kopierten, ist nur ein Abschnitt im Befund der Bertelsmannstiftung. Schon Erhard Eppler stellte einmal fest: „Späths Luftballons steigen laut und platzen leise.“ Trotzdem genießt Späth bis heute in der Wirtschaft anhaltende Reputation. Und nicht nur dort.
Die Kreativen im Land singen ebenfalls das hohe Loblied auf Späth. Jossi Wieler, der Stuttgarter Opernintendant, lobte dieser Tage erst Lothar Späth als Gestalter, der sehr viel Geld für Kunst in die Hand genommen habe. Davon zehre das Land heute noch. Die Späth-Regierung installierte in der Person Wolfgang Gönnenweins einen Staatsrat eigens für die Kunst. Der Daimler-Stern und Spitzenballett, dicke Geschäfte und erhabene Kunst – das ging, nach der unrühmlich beendeten Filbinger-Regierungszeit, in der Ära Späth erstmals zusammen. Kretschmann erinnert sich: Die Grünen kamen erstmals in den Landtag, als Späth das Land regierte. Ihm überreichten sie einen Kaktus. Sportlich und fair habe Späth die jungen, aufmüpfigen Grünen behandelt, ihre Vorschläge ernst genommen, wenngleich er sie mit dem Hinweis versah, dass sie so nicht umsetzbar seien. „Späth hat den realpolitischen Kurs der Grünen mitgeprägt“, ist der heutige Regierungschef überzeugt. Das hat bei ihm Respekt für diesen außergewöhnlichen Mann hinterlassen, der nun 78-jährig, schwer an Demenz erkrankt und körperlich gezeichnet, nach wenigen Wochen im Pflegeheim starb. „Das Land verbeugt sich vor ihm.“
Und doch verbindet sich auch anderes mit dem guten Namen. Eine „Spiegel“-Geschichte beförderte das jähe Ende als Ministerpräsident – sie bot Einblicke in das Leben eines Lothar Späth, den die Bürger des Landes so nicht kannten. Mitten im Bundestagswahlkampf 1987 flog Späth etwa von Paris aus mit der Concorde auf die 62 Meter lange Luxusjacht des Industriellen Max Grundig in die Karibik. 1989 zog es ihn nach Malaysia, allerdings allein.
Die Einsicht, dass solche Trips für einen gewählten Volksvertreter mit dem Amt unvereinbar sein könnten, hatte Späth nicht. „Wenn Herr Grundig mich einlädt, soll ich ihn fragen, ob ich mich am Dieselkraftstoff beteiligen kann?“, meinte er trotzig. Doch der CDU-Landesvorsitzende war an einer anderen Stelle angreifbar: mit Frauengeschichten. Laut „Spiegel“ und nie von ihm dementiert, soll sich Späth mehrfach auf Herrenurlauben unter dem Namen „Herr Schwab“ eingeschrieben haben. Der Hotelmanager war gehalten, den hohen Gast aus Baden-Württemberg abzuschirmen und ihm „jeden Wunsch“ zu erfüllen. „Er blieb am Zimmer und ließ sich verwöhnen“, stand im „Spiegel“. Als sich der CDU-Landesvorstand am 12. Januar 1991 in Isny traf, sickerte durch, was das Magazin berichten werde.
Die Südwest-SPD bereitete gerade einen Untersuchungsausschuss vor, in dem Späths Nähe zu Wirtschaftsbossen und Gönnern hätte ausgeleuchtet werden sollen. Denn bekannt wurden auch Reiterferien der Tochter oder Bootsausflüge in der Ägäis, die von SEL-Chef Helmut Lohr teils über den Konzern abgerechnet wurden. Ähnliche „Nettigkeiten“ verbanden ihn mit Daimler-Vorstand Werner Niefer. Lange Zeit lautete die Verteidigungslinie im Staatsministerium: Es sei normal, dass sich befreundete Familien gegenseitig einladen würden.
Bis zu dem Tag, als der Hotelmanager auch vor einem Untersuchungsausschuss „jederzeit zur Aussage bereit“ war – über allerhand Interna der Männerausflüge. Da war auch für diejenigen in der CDU, die die Grenze zwischen privat und dienstlich breit auszulegen bereit waren, das Maß voll. Lothar Späth ließ sich noch am Abend von der Sitzung im Hubschrauber vom Allgäu zurück nach Stuttgart fliegen. Tags darauf, am 13. Januar 1991, trat er als Ministerpräsident zurück. Lieber über eine „Traumschiff-Affäre“ stolpern, als über Schlüpfriges. Es war Späths unrühmliches politisches Aus mit 53 Jahren. Ein CDU-geführter Ausschuss sah keine persönlichen Verfehlungen.
Späth wurde alsbald Geschäftsführer von Jenoptik in Thüringen. Die Treuhandanstalt pumpte viel Geld in Ost-Unternehmen, Späth sah sich, trotz hoher Subventionen, als Unternehmer und tauchte, nach einer Karenzzeit, wieder häufiger in Talkshows auf oder für seinen Ziehsohn Günther Oettinger in Wahlkämpfen im Ländle.
Nachhaltig war indes nicht nur Lothar Späths scheinbar nie versiegender Ideenpool. In seiner 13-jährigen Amtszeit wuchs der Schuldenberg des Landes gewaltig. Die grün-rote Landesregierung Kretschmanns zahlte erst vor einem Jahr die letzten Schulden aus der Ära Späth ab.