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LONDON
Londons kleine Kehrtwende in der Asylpolitik
byl
 |  aktualisiert: 04.09.2015 19:07 Uhr

Die Taktik der britischen Regierung in der Flüchtlingskrise hieß in den vergangenen Monaten Abschreckung: Gegen die „Menschenschwärme“ auf dem Mittelmeer, wie Premierminister David Cameron die Flüchtlinge nannte. Mit Zäunen und zusätzlichen Sicherheitskräften wollte die Regierung die Grenzen dichtmachen, mit einer scharfen Rhetorik die Menschen davon abhalten, durch den Eurotunnel unter dem Ärmelkanal auf die Insel zu kommen.

Statt sie „Flüchtlinge“ zu nennen, wurde der im Königreich negativ konnotierte Reizbegriff „Migranten“ benutzt. Doch dann schockierte das Bild des ertrunkenen Flüchtlingsjungen die Briten und die Situation scheint plötzlich eine andere. Cameron kündigte am Freitag an, Großbritannien wolle mehrere tausend Menschen aufnehmen, die aus Syrien geflohen sind. „Jeder, der letzte Nacht diese Bilder gesehen hat, konnte gar nicht anders, als bewegt zu sein“, sagte der Regierungschef nach seiner politischen Kehrtwende. „Als Vater habe ich mich tief bewegt gefühlt vom Anblick dieses kleinen Jungen an einem Strand in der Türkei.“

Das klang wenige Tage zuvor noch ganz anders, aber der Druck auf Westminster ist zuletzt zu stark geworden. Zum einen hagelte es scharfe Kritik an der harten britischen Haltung in der Asylpolitik von den anderen EU-Mitgliedsstaaten, die forderten, dass Großbritannien seinen Teil zur Lösung der Krise beitragen müsse. 2015 hat die Insel lediglich 216 syrische Flüchtlinge aufgenommen, in den vergangenen vier Jahren waren es laut offiziellen Angaben insgesamt etwa 5000 Menschen, die dem Bürgerkriegsland entkommen sind und Zuflucht im Königreich gefunden haben. Dabei will Cameron seine europäischen Partner nicht verärgern. Immerhin plant er, Reformen in Brüssel durchzusetzen, bevor er die Briten spätestens 2017 in einem Referendum über den Verbleib in der EU abstimmen lassen will.

Doch es war vor allem der innenpolitische Druck, dem Cameron nicht mehr standhalten konnte. Innerhalb von 48 Stunden scheint die Stimmung umgeschlagen zu sein. Sowohl die Opposition als auch der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, beklagten die britische Weigerung. Das geistliche Oberhaupt der Kirche von England sagte, sein Herz sei gebrochen. Selbst bisherige Befürworter des harten Asylkurses wie einige Tory-Parlamentarier oder konservative Medien forderten nun in ihrer Bestürzung über die Bilder des toten Jungen eine Entschärfung.

Mehr als 370 000 Menschen haben zudem bis Freitagabend in einer Petition die Regierung und Abgeordnete aufgefordert, mehr Flüchtlinge ins Land zu lassen. Bedeutet die Ankündigung Camerons nun eine Wende in der britischen Asylpolitik? Nicht ganz. Großbritannien werde seiner moralischen Verantwortung nachkommen, versprach Cameron. Doch London will, anders als beispielsweise Deutschland, nicht jene Flüchtlinge aufnehmen, die derzeit in Calais ausharren, sich in Budapest in überfüllte Züge quetschen oder an den Stränden von Italien und Griechenland voller Hoffnung ankommen. Man plane, Menschen Asyl zu gewähren, die bislang in Lagern nahe der syrischen Grenze leben.

„Das gibt ihnen einen direkteren und sichereren Weg ins Vereinigte Königreich, statt eine gefahrvolle Reise zu riskieren, die tragischerweise so vielen das Leben gekostet hat“, sagte er am Freitag. Mit diesem Schritt, so heißt es aus Westminster, wolle man verhindern, indirekt Schleuserbanden zu unterstützen. Zudem sollten keine Menschen motiviert werden, die Reise nach Europa anzutreten.

 
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