Auch wenn es bis zum Brexit am 31. Oktober noch einige Wochen dauert, hat der Auszug der Briten aus Brüssel am Montag begonnen. Entsprechend einer Ankündigung von Premierminister Boris Johnson bleiben die Vertreter des Vereinigten Königreiches an dieser Woche den Sitzungen der EU-Gremien fern, bestätigte ein hochrangiges Mitglied der Brüsseler Kommission. Auf die Nominierung eines neuen EU-Kommissars für die Mannschaft der künftigen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Johnson ebenfalls verzichtet – schließlich würde der sein Amt erst am 1. November antreten.
An diesem Tag soll nach dem Willen des britischen Regierungschefs der Brexit vollzogen sein. Lediglich im Europäischen Parlament, so hieß es, würden die Abgeordneten von der Insel weiter in den Ausschüssen und Gremien mitarbeiten. Ob das auch für die in den kommenden Wochen anstehenden Anhörungen der 26 künftigen Kommissare gelten soll (Von der Leyen ist ja bereits bestätigt), wollte am Montag noch keiner sagen. „Das wäre natürlich völliger Unsinn. Aber jeder Parlamentarier hat das Recht, sein Mandat auszuüben – bis zum letzten Tag“, sagte ein Europa-Abgeordneter.
In Brüssel wird der schleichende Auszug der EU-Vertreter Londons zwar vor allem als Druckmittel gesehen, mit dem Johnson der Union klarmachen wolle, dass er es ernst meint. Den Gesprächsfaden selbst aber hat London bisher nicht abreißen lassen. Ganz im Gegenteil: Ab sofort sollen die Delegationen der EU und Großbritanniens „mindestens zwei Mal pro Woche“ zusammenkommen. Das sei der ausdrückliche Wunsch der Regierung des Vereinigten Königreiches“, bestätigte ein Kommissionsmitarbeiter.
David Frost, der die Verhandlungen von britischer Seite führt, wird bereits am Mittwoch erwartet. Brüssels Chefunterhändler Michel Barnier kündigte an, er werde „alle Ideen prüfen“, die „Großbritanniens Regierung der EU präsentiert“ und die „kompatibel“ mit dem bestehenden Austrittsabkommen seien. Der Franzose hatte am Wochenende in einer Kolumne für die britische Zeitung „Sunday Telegraph“ allerdings auch geschrieben: „Ich bin nicht optimistisch bei der Frage, ob ein ‚No-Deal’-Szenario noch vermieden werden kann.“ Aber auch diese Äußerung wird im Umfeld der EU-Zentrale eher als „Gegendruck Richtung London“ verstanden – nach dem Motto: Wenn Johnson auf hart macht, können wir das auch.
Als entscheidendes Datum gilt derzeit der EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 17. und 18. Oktober in Brüssel. Es könnte Johnsons erster und einziger Auftritt in der Runde der 27 Staatenlenker werden. Aus Sicht der Gemeinschaft wäre dies die definitiv letzte Chance, um einen Austritt ohne Übereinkommen zu verhindern. Wichtigste Voraussetzung: Der Premierminister müsste einen brauchbaren Gegenvorschlag mitbringen, um den Backstop (jene Notfalllösung zur Vermeidung einer harten Grenze zwischen Nordirland und Irland, bis die beiderseitigen Beziehungen geklärt sind) überflüssig zu machen. Wie der aussehen könnte? Achselzucken in Brüssel. Einen Spielraum, um auf London zuzugehen, sieht niemand – zumindest offiziell nicht. Der Backstop sei notwendig, um die Integrität des europäischen Binnenmarktes zu gewährleisten, schrieb Barnier. Das sei das „Maximum an Flexibilität, das die EU einem Nicht-Mitgliedstaat anbietet.“