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BERLIN
Lindner ist die letzte Hoffnung der FDP
Evangelischer Pressedienst
 |  aktualisiert: 06.12.2013 19:33 Uhr

Die FDP – eine Ein-Mann-Partei? Hermann Otto Solms, bis vor kurzem noch Vizepräsident des Bundestages, kann daran nichts Schlimmes finden. „Die CDU ist eine Ein-Frau-Partei“, sagt er. „Das hat ihr bisher nicht geschadet.“

Der eine Mann, der es jetzt richten soll, ist 34 Jahre jung und einer der 92 Abgeordneten in neun Landtagen, die den Liberalen noch geblieben sind: Christian Lindner, im Hauptberuf Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen und seit dem Debakel bei der Bundestagswahl so etwas wie die letzte Hoffnung der Freien Demokraten.

Heute will er in Berlin zum neuen Vorsitzenden der FDP gewählt werden und seine Partei von da an so im Gespräch halten, dass sie in der außerparlamentarischen Opposition nicht ganz in Vergessenheit gerät. Auf ein, zwei verlorene Landtagswahlen mehr oder weniger kommt es ihr dabei nicht mehr an. „Entscheidend“, sagt der Altvordere Solms, der heute auf Lindners Vorschlag zum Schatzmeister gewählt werden soll, „ist die Rückkehr in den Bundestag 2017.“

Der Schnitt, den die Liberalen jetzt vornehmen, ist mehr als eine Zäsur. Von der alten Parteispitze kandidieren lediglich Lindner und der Kieler Fraktionschef Wolfgang Kubicki noch einmal. Alle anderen, vom gescheiterten Spitzenkandidaten Rainer Brüderle über den glücklosen Vorsitzenden Philipp Rösler bis zu Generalsekretär Patrick Döring ziehen sich zurück– häufig noch mit ungewissem Ziel.

In der Politik bleiben wird nach allem, was man bisher weiß, zunächst nur Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie soll auf Vorschlag der alten Bundesregierung Generalsekretärin des Europarates werden, der ältesten politischen Organisation Europas mit 47 Mitgliedsländern. Was Entwicklungsminister Dirk Niebel, Gesundheitsminister Daniel Bahr und Rösler selbst planen, ist ebenso unklar wie die Zukunft von Guido Westerwelle.

Spekulationen, Westerwelle könnte Spitzenkandidat für die Europawahl im Mai werden, hat der Außenminister im kleinen Kreis dementiert. Er wolle sich, hat er dort gesagt, ganz aus der Politik verabschieden. In einem Interview mit der „Bunten“ verriet er lediglich, dass er sich freue, nun mehr Zeit mit seinem Freund Michael Mronz verbringen zu können: „Die vielen Fernreisen, die endlosen Flugstunden und die permanente Zeitverschiebung, die uns trennte, fallen künftig weg.“

Wer nach diesem Wochenende alles im Olymp der Partei, dem Präsidium, sitzen wird, das wusste bis gestern auch in der FDP noch niemand so genau. Als gesetzt gilt neben Lindner und Kubicki die scheidende hessische Kultusministerin Nicola Beer, die neue Generalsekretärin werden soll. Um einen der übrigen fünf Plätze im Präsidium bemüht sich unter anderem der Euro-Skeptiker Frank Schäffler.

Auch Lindner selbst bekommt zwei Gegenkandidaten, einen weitgehend unbekannten Physiker aus Berlin und einen Landwirt aus Hessen, der dem Schäffler-Lager zugerechnet wird, das um mehr Einfluss in der Partei kämpft. Aus Bayern bewerben sich nach Informationen dieser Zeitung die Europaabgeordnete Nadja Hirsch und die beiden ehemaligen Bundestagsabgeordneten Jimmy Schulz und Horst Meierhofer um einen Platz im Bundesvorstand.

Welchen schweren Weg die neue FDP-Spitze vor sich hat, zeigt punktgenau zu ihrem Start der neue Deutschlandtrend der ARD. 59 Prozent der Deutschen würden es bedauern, wenn die Liberalen in der deutschen Politik keine Rolle mehr spielen – aber nur drei Prozent würden sie im Moment auch wählen.

Lindner hätte vor gut zwei Jahren, nach dem Putsch gegen Guido Westerwelle, schon einmal Parteichef werden können. Damals allerdings fühlte er sich noch zu jung für das Amt und überredete Philipp Rösler zur Kandidatur. Diesmal signalisierte Lindner noch am Wahlabend, dass er bereit sei, die Liberalen aus ihrem historischen Tief zu führen, und sparte in der Folge auch nicht mit Kritik am Wahlkampf und an den Protagonisten der Partei.

Unsensibel, kühl, Defizite im Auftreten wie im Stil und das Gesellschaftsbild eines Wolfsrudels: So drastisch wie Lindner hat in den zwei Monaten seit der Wahl kein Freidemokrat Ursachenforschung betrieben. Die Lehren allerdings, die er daraus zieht, ziehen längst nicht alle in der FDP. Gerade erst hat der stellvertretende Vorsitzende Holger Zastrow angekündigt, sich nicht noch einmal um einen Platz im Präsidium zu bewerben, und eine Erklärung mitgeliefert, die man durchaus als Breitseite gegen Lindner verstehen kann: „Ich werde meine Ideen in Sachsen umsetzen. Was in Berlin passiert, spielt für uns künftig keine so große Rolle mehr.“

Zastrow will die FDP auf stramm neoliberalem Kurs halten, Lindner dagegen hat schon vor Jahren den Begriff vom „mitfühlenden Liberalismus“ geprägt, er redet häufiger als andere Freidemokraten von Chancengerechtigkeit und Fairness und kann sich auch vorstellen, die Partei etwas zur SPD hin zu öffnen.

„Mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag“, sagt er, „haben die Wähler einen Neustart erzwungen.“ Seine neue FDP soll allerdings keine linksliberale sein und schon gar keine nationalliberale, sondern eine Partei der Mitte, des Augenmaßes und der ökonomischen Vernunft: „Wir treten für eine faire Wirtschaftsordnung ein, die nicht die Rücksichtslosen und Gewieften, sondern die Fleißigen und Kreativen belohnt.“

Lindners Aufgabe wird es nicht nur sein, das wachsende Lager der Euro-Skeptiker in Schach zu halten. Er muss täglich neu gegen den drohenden Verlust an Aufmerksamkeit ansenden. In dem Moment, in dem eine Partei aus dem Parlament fliegt, verschwindet sie ja auch schnell von der medialen Bildfläche. Die Einladungen in die Talkshows werden seltener, sie hat keine Abgeordneten mehr, die sich wie selbstverständlich zu aktuellen politischen Fragen äußern, und damit keine Plattform mehr, um ihren Platz im Bewusstsein der Republik zu behaupten.

Auch deshalb setzt die Partei so große Hoffnungen in den jungen Lindner, der seine Landes-FDP im vergangenen Jahr als Spitzenkandidat von Umfragewerten um die zwei Prozent auf fast zehn Prozent bei der Landtagswahl geführt hat: Er ist einer der eloquentesten Politiker überhaupt in Deutschland.

 
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