Eigentlich ist das hier seine Bühne. Eigentlich spielt er die Hauptrolle. Doch die Klausur der CSU-Bundestagsabgeordneten erlebt Gastgeber Alexander Dobrindt eher als Statist. In den Schatten gestellt von einem Regisseur, in dessen Drehbuch der Landesgruppenchef nur als Nebenrolle vorkommt. Zwei Jahre ist es her, dass Dobrindt hier hinter den Klostermauern von Seeon seine „Konservative Revolution“ ausgerufen hat. Und tatsächlich hat die CSU seitdem durchaus revolutionäre Zeiten erlebt. Doch eben ganz anders als Dobrindt, der die Partei nach rechts führen wollte, sich das vorgestellt hatte.
Sein österreichischer Mitstreiter Sebastian Kurz regiert jetzt ausgerechnet mit den Grünen. Ungarns rechtspopulistischer Premier Viktor Orbán, damals noch Stargast in Seeon, hat sich mit den europäischen Konservativen zerstritten. Und in der CSU führt die Regie längst ein anderer. Markus Söder macht die Klausur zu seiner Inszenierung. Er diskutiert engagiert mit Tausenden Bauern, die zwar nicht mit Mistgabeln, aber mit Wut im Bauch das winterliche Idyll stören. Er bestimmt mit seiner Forderung nach neuen Köpfen in der Großen Koalition den Flurfunk. Er lässt keinen Zweifel daran, wer hier der Chef ist.
Die alte Angriffslust
Und der Gastgeber? Dobrindt bleibt der Job des Moderators zwischen den Programmpunkten. Nur einmal blitzt die alte Angriffslust auf. „So manche kommen über die Feiertage zum Nachdenken, Teile der SPD nicht einmal zur Besinnung“, sagt Dobrindt. In diesem Moment zuckt der ansonsten steinskulpturenartig neben ihm stehende Parteichef kurz mit den Mundwinkeln. Der Gag verpufft. Es ist saukalt. Keiner will sich zu lange mit Wahlkampfplattitüden aufhalten. Das hier ist nicht mehr Dobrindts Welt. Söders beinahe onkelhaftes Lob für den CSU-Landesgruppenchef kann man auch so verstehen: Die Zeiten, als er den einstigen Konkurrenten um das Erbe Horst Seehofers als ernsthafte Gefahr empfunden hat, sind passé.
Wenn Söder nun eine neue CSU-Mannschaft in Berlin aufstellen will, ist das auch die Abwicklung der Ära Seehofer. Die Minister in der Großen Koalition waren die letzten Personalien, über die der Altvordere zu entscheiden hatte. Nun geht Söder in die Offensive, will noch im Sommer neue Leute sehen, um mit Schwung in den nächsten Bundestagswahlkampf zu ziehen. Mit CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat er die Idee nicht abgestimmt. „Wir waren im Gespräch. Aber nicht vorher“, sagt Söder mit einem Augenzwinkern.
Seehofer ist in Söders Rede hineingeplatzt
Der Bayer spekuliert darauf, dass alle in der Union neuen Schwung am Ende der Merkel-Epoche irgendwie gut finden. Nur ob die Kanzlerin selbst Lust verspürt, sich auf den letzten Metern noch einmal an einen Haufen neuer Minister zu gewöhnen, darf doch stark bezweifelt werden. Und auch die CSU-Leute in Berlin werden ihre Restlaufzeit im Kabinett kaum freiwillig verkürzen. Den 70-jährigen Horst Seehofer als Innenminister zu stürzen, würde die gerade erst mühsam zusammengeflickte CSU vor eine neue Zerreißprobe stellen. Seehofer war übrigens höchstpersönlich nach Seeon angereist. Sicher ist sicher. Dass er mitten in Söders Rede hineinplatzte, war wohl Zufall, dürfte ihm aber ein bisschen Spaß gemacht haben. Geht es nach den Umfragen, wäre klar, wer seinen Platz im Kabinett räumen muss: Andreas Scheuer halten viele Deutsche für eine Fehlbesetzung als Verkehrsminister, er ist aber mit seinen 45 Jahren neben Digitalstaatsministerin Dorothee Bär das jüngste CSU-Mitglied in der Regierungsmannschaft. Bleibt noch Entwicklungsminister Gerd Müller, der zwar schon 64 Jahre alt ist, dem aber selbst die politische Konkurrenz gute Arbeit attestiert.
Jetzt nur keinen Streit
Die Landesgruppe im Bundestag steht im Prinzip hinter einem personellen Neuanfang. In Seeon rätseln allerdings viele Abgeordnete, wie Söder sich das vorstellt mit dem frischen Wind. So ähnlich geht es offenbar auch der CDU-Vorsitzenden. Söders Vorpreschen nimmt Annegret Kramp-Karrenbauer mit Humor – obwohl der Kollege aus Bayern explizit die Bereiche Innovation und Wirtschaft als Baustellen definiert hat. Verantwortlich dafür sind zwei CDU-Leute. „Wir beide reden viel miteinander, manchmal, bevor wir mit Ideen an die Öffentlichkeit gehen. Und manchmal, nachdem wir an die Öffentlichkeit gegangen sind“, sagt die CDU-Vorsitzende im Kloster Seeon. Söder schmunzelt, AKK auch. Beide scheinen zu denken: Jetzt bloß keinen Streit. Jetzt bloß keinen Seehofer-Merkel-Moment vor laufenden Kameras.
Sich nicht gegenseitig schaden
Eine Kabinettsumbildung sei „eine Möglichkeit, die Markus Söder ins Spiel gebracht hat“, fügt AKK maximaldiplomatisch hinzu. Sie selbst spricht lieber von einem „Zukunftsprogramm“ und einem „Zukunftsteam“ für das Wahljahr 2021. „Dazu gehören immer auch entsprechende Köpfe, die das glaubhaft vertreten.“ Sie stehe für einen „Aufbruch mit Augenmaß“. Klingt nicht nach großen Personalrochaden im laufenden Betrieb. Söder will die Nerven der Schwesterparteichefin offenbar nicht über Gebühr strapazieren. „Wir beide haben eines verinnerlicht: Wenn CDU und CSU auf Dauer nicht zusammenstehen, dann schadet das nicht nur uns gegenseitig, sondern es ist auch eine Schwäche für Deutschland“, sagt er. Klingt so, als wolle er sich selbst daran erinnern.
Und Alexander Dobrindt? Der darf die kleine Pressekonferenz zumindest abmoderieren.