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BERLIN
Liberale Moschee in Berliner Kirche eingeweiht
Eröffnung liberale Moschee       -  Die Imame Abdel-Hakim Ourghi (links) und Elham Manea leiteten gemeinsam in Berlin zur Eröffnung einer liberalen Moschee das Freitagsgebet.
Foto: Maurizio Gambarini, dpa | Die Imame Abdel-Hakim Ourghi (links) und Elham Manea leiteten gemeinsam in Berlin zur Eröffnung einer liberalen Moschee das Freitagsgebet.
Von unserer Mitarbeiterin Orla Finegan
 |  aktualisiert: 24.05.2022 09:27 Uhr

Die evangelische Johanniskirche steht seit über 150 Jahren in Berlin, Ortsteil Moabit. Sie ist ein unerschütterliches Gebäude mit einem freistehenden Glockenturm, daneben das Kirchenschiff, alles aus rotem Backstein. Ein Bollwerk des Glaubens. Luther wäre stolz.

Glaubt man Elham Manea, Politologin, Autorin und Imamin aus der Schweiz, wurde am Freitag genau hier Geschichte geschrieben. „Wir sind alle Teil einer Bewegung“, sagte sie tragend. „Seyran hat etwas Historisches in Berlin aufgebaut.“ Mit „Seyran“ meint sie ihre Freundin Seyran Ates, Rechtsanwältin, Autorin und bald Imamin. Mit „etwas Historisches“ meint sie die „Ibn-Rushd-Goethe-Moschee“, die Ates am Freitag im Anbau der Johanniskirche eröffnet hat. Und mit der „Bewegung“ meint sie die Idee eines liberalen Islam. Denn die Moschee in den Räumen der evangelischen Kirche hat ein Ziel: Sie soll es freiheitsliebenden Muslimen erlauben, gemeinsam zu beten.

Das klingt recht simpel, doch die Idee ist in Berlin revolutionär. Ates und ihre Mitstreiter, mit denen sie die Moschee – organisiert als gemeinschaftliche GmbH – gegründet hat, bieten dem radikalen und dem konservativen Islam die Stirn. Im dritten Stock der Johanniskirche können ab diesem Wochenende Muslime und Muslimas zusammen in einem Raum beten. Homosexuelle können am Freitagsgebet teilnehmen ohne diskriminiert zu werden. Und Frauen können das Gebet leiten. Es soll ein Anlaufpunkt für alle werden, die sich in den konservativen Moscheen der Hauptstadt nicht wiederfinden, die ihre Religion losgelöst von politischen Botschaften ausleben wollen.

Ates Vision ist groß. Und eine, die Muslime auf der ganzen Welt teilen. 1994 hielt die Imamin Dr. Amina Wadud ein Freitagsgebet in Kapstadt ab, 2005 hielt sie eine weitere öffentlichkeitswirksame Predigt in New York. Ein paar Jahre später gründete sich in London die „Inclusive Mosque Initiative“, eine Initiative für einen liberalen Islam. Hier kommen alle Strömungen des Islam friedlich zusammen, die Mitglieder setzen sich für Frauen- und Menschenrechte und einen friedlichen Islam ein.

Seit Jahren setzt sich auch die 54-jährige Anwältin Ates schon für Frauenrechte ein. Für ihr Engagement erntete sie Morddrohungen, stand unter Polizeischutz und zog sich für einige Zeit komplett aus der Öffentlichkeit zurück. Sie wartete darauf, dass jemand in Deutschland den Islam so interpretiert, dass sie sich als demokratie-liebende Feministin damit identifizieren kann – keiner hat es getan, also schritt sie selbst zur Tat. Und schrieb auch gleich ein Buch darüber. „Selam, Frau Imamin“ erzählt die Entstehungsgeschichte ihrer Moschee und kritisiert, dass in Deutschland Islam-Verbände wie Ditib zu viel Einfluss besitzen.

In den vergangenen Monaten hat die gesamte Familie mit angepackt, um aus dem Traum, den Ates acht Jahre lang mit sich herumgetragen hat, Realität werden zu lassen. Konkret wurde es im Mai vergangenen Jahres: Nachdem sie öffentlich von einer liberalen Moschee gesprochen hatte, bekam sie zahlreichen Zuspruch. Da das Gebäude, das ihr vorschwebt, noch nicht existiert, hat Ates für ein Jahr den ehemaligen Theatersaal der evangelischen Gemeinschaft gemietet. Bis kurz vor der Eröffnung haben sie renoviert: Ates und ihre Brüder.

Jetzt erstrahlt der Raum in hellem Licht. Die Wände sind frisch gestrichen, cremefarben. Der Teppich ist neu, ein helles beige. Einheitliche Gebetsteppiche in Grün-gelb liegen auf dem Boden, Ates Schwester hat sie extra aus der Türkei mitgebracht. Am Freitagvormittag schraubt ihr Neffe noch die letzten Ikea-Regale zusammen – „für die Schuhe“. Keine 50 Meter weiter, in einem größeren Raum der evangelischen Gemeinde, tritt Seyran Ates vor die Presse. Und sprüht förmlich vor Elan.

Zusammen mit Vertretern der Johanniskirche und Gesellschaftern der Moschee, wie ihrer Freundin Elham Manea, stellt sie sich den Fragen der Journalisten. Der Superintendent der evangelischen Kirchengemeinde, Berthold Höcker, rechtfertigt die Zusammenarbeit mit den Muslimen damit, dass hier „das friedenstiftende Potenzial der Religionen vorgelebt werden soll“.

Und eine Pfarrerin aus Berlin-Mitte meldet sich zu Wort: „Wer, wenn nicht wir, würden ihre Anstrengungen verstehen können?“ Sie spielt auf die evangelische Kirche an, die Frauen auch erst seit wenigen Jahrzehnten das Recht zugesteht, einen Gottesdienst zu leiten.

Trotz der Aufbruchsstimmung, die unter Ates und ihren Mitstreitern herrscht, gelten gewisse Vorsichtsmaßnahmen. An der Einfahrt zur Johanniskirche stehen Polizisten in kugelsicheren Westen und kontrollieren Taschen und Rücksäcke. In Ates Nähe ist immer auch ein Personenschützer mit Knopf im Ohr. Ein Vater, dessen Kind die angrenzende Kindertagesstätte besucht, sorgt sich, dass die Moschee Zielscheibe radikaler Islamisten werden könnte. Die Verantwortlichen beruhigen so gut es geht, doch auf manche Fragen fehlen noch die Antworten. Die Moschee ist noch im Entstehen, alle bitten um Verständnis.

Später, kurz bevor das Freitagsgebet auf den neuen gelb-grünen Teppichen losgeht, läuft Ates noch einmal durch den Raum. „Hat jemand die App“, ruft sie in der Hoffnung auf einen Kompass. Kurz darauf werden die Teppiche leicht verrückt – Richtung Osten, nach Mekka. Dann hält Ates ihre erste Predigt.

Ditib sagt Demo ab

Der Generalsekretär des deutsch-türkischen Moscheeverbands Ditib, Bekir Alboga, hat das Nein seines Dachverbands zur Großdemonstration gegen Terrorismus in Köln verteidigt. „Ramadan ist für mich wie Weihnachten. Da gehen Sie doch auch nicht demonstrieren“, sagte Alboga der „Bild“-Zeitung. Die Absage der Ditib hatte eine breite Debatte ausgelöst. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), kritisierte die Entscheidung. Der Verband, der als größter Islamverband in Deutschland gilt, stelle sich damit „noch weiter ins Abseits und droht vollends seine Glaubwürdigkeit zu verspielen“, sagte Özoguz. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüße es sehr, dass die Veranstalter der Demonstration ein Signal gegen Gewalt und Terror setzen wollen. „Dass Ditib nicht teilnehmen will, ist einfach nur schade“, so Seibert. Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) sagte: „Ditib tut sich mit der Absage keinen Gefallen.“ Sie forderte, in Zukunft einen stärkeren Dialog mit nicht-religiösen Migrantenverbänden zu führen. KNA
röffnung liberaler Moschee mit Initiatorin Ates       -  Seyran Ates, Rechtsanwältin, Autorin und bald Imamin.
Foto: dpa | Seyran Ates, Rechtsanwältin, Autorin und bald Imamin.
 
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