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Leitartikel: Übung macht den Meister
Von GISELA RAUCH gisela.rauch@mainpost.de
 |  aktualisiert: 05.10.2012 19:52 Uhr

Natürlich ist es überzogen, einen Leitartikel zum überragenden Abschneiden bayerischer Viertklässler bei nationalen Vergleichstests mit einer Hinwendung zum chinesischen Pianisten Lang Lang zu beginnen – aber wir lassen uns darauf ein. Und zwar deswegen, weil man an Lang Langs Autobiografie „Musik ist meine Sprache“ erschütternd gut sehen kann, dass der Hauptgrund dafür, dass aus einem begabten Klavierspieler ein Weltstar wird, nicht nur Talent ist und nicht nur Förderung – sondern hartes Üben. In einem Alter, wo andere in den Kindergarten gehen, spielt der kleine Lang Lang stundenlang täglich Tonleitern; in einem Alter, wo andere mit der Schule beginnen, muss er Klavierwettbewerbe gewinnen – ja, er muss. Gewinnt er sie nicht, droht sein Vater damit, sich vom Balkon zu stürzen in den Tod.

Lernen unter Druck: Das führt uns zurück zum neuesten nationalen Vergleichstest (diesmal in Lesen, im Zuhören und in Mathematik), bei dem wieder einmal Bayerns Schüler bestens und Bremens Schüler sehr schlecht abgeschnitten haben. Zwar wird auf der Suche nach den Ursachen für die eklatante Leistungsdifferenz zwischen Nord und Süd gern der hohe Ausländeranteil in Stadtstaaten wie Bremen angeführt – und damit unterstellt, dass überall dort, wo viele Ausländerkinder zur Schule gehen, der Leistungsstandard sinke. Das Argument greift aber nicht. Tatsächlich hat Bremen mit 12,5 Prozent einen höheren Ausländeranteil als Bayern mit 9,5 Prozent. Aber der Unterschied beträgt drei Prozent! Und damit liegen die Ausländerquoten zu nah beieinander, als dass sie den Leistungsabfall erklären würden.

Nein – Leistung hat eben auch etwas mit Lernen zu tun. Mit Kindern ist es wie mit Klavierspielern, mit Schwimmern oder Fußballern: Begabt sind viele. Exzellent werden sie aber nur, wenn zu den zehn Prozent Begabung neunzig Prozent Übung dazukommen. Und weil das bayerische Schulsystem mit seiner strengen Selektion nach der vierten Klasse einen starken Druck auf Schüler, Eltern und Lehrer aufbaut, dem nur mit Üben beizukommen ist – deshalb sind Bayerns Schüler so gut.

Bayerns Viertklässler müssen fürs Gymnasium einen 2,3er-Schnitt erreichen und für die Realschule einen 2,6er-Schnitt. Um herauszufinden, welches Kind für welche Schulform „geeignet“ sei, werden Bayerns Kinder in der vierten Klasse durch 22 angesagte Proben gejagt. Und dafür wird gepaukt, in der Schule, zu Hause, per Nachhilfe. Dass bei so viel Anstrengung der durchschnittliche bayerische Viertklässler bessere Leistungen bringen wird als der durchschnittliche Bremer Viertklässler, ist logisch. Der Bremer Viertklässer nämlich – er kennt weder Übertrittsproben noch Übertrittszeugnisse und kommt, weil in Bremen der Elternwille über die Schule entscheidet, auch noch mit einer Vier in Mathe und Deutsch aufs Gymnasium.

Dass die Schulform und der damit ausgeübte Lerndruck über Leistung entscheidet, das dürfte mit dem jüngsten Test erneut bewiesen sein. Weitere Schüler-Vergleichstests braucht es nicht. Interessanter wären Untersuchungen, die Auskunft geben darüber, welchen Preis Schüler der einzelnen Bundesländer für ihr jeweiliges Schulsystem zahlen müssen. Wie oft entwickeln Bremer Schüler, weil unterfordert, Auffälligkeiten – und wie viele bayerische Schüler werden aus Überforderung krank? Selbst wenn ihre Eltern nicht damit drohen, sich vom Balkon zu stürzen.

 
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