Silvio Berlusconi ist Opfer eines Staatsstreichs. Jedenfalls ist das seine Sicht der Dinge. Dem ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten droht, nachdem er rechtskräftig wegen Steuerbetrugs verurteilt ist, der Rausschmiss aus dem Parlament – und damit der Verlust der Immunität. Am Freitag soll ein Ausschuss des Senats darüber entscheiden. Und dann könnte es unbequem werden für den Mailänder, gegen den noch weitere Verfahren laufen, unter anderem wegen Amtsmissbrauchs und Sex mit einer minderjährigen Prostituierten. Berlusconis Lösung: Er, das „Opfer eines Staatsstreichs“, initiiert selbst einen.
Am Wochenende befahl der „Cavaliere“ den fünf Ministern seiner Partei, in der er nach wie vor wie ein Pate die Fäden zieht, zurückzutreten und löste so eine Regierungskrise aus. Zur Unzeit: Am 15. Oktober sollte das Parlament des Krisenlandes Italien den Staatshaushalt beschließen, der danach der EU vorgelegt werden muss. Und im Parlament hängen Gesetzentwürfe fest, mit denen die lahmende Wirtschaft angekurbelt und insbesondere der Arbeitsmarkt wiederbelebt werden sollte. Erst vergangene Woche erhöhte der Internationale Währungsfonds (IWF) den Druck auf Rom, mahnte Reformen an.
Berlusconi setzt Italien die Pistole auf die Brust. Auf seiner Facebook-Seite machen unterdessen viele Italiener ihrer Wut Luft, beschimpfen Berlusconi, der am 19. September noch gepostet hatte: „Wir wissen, dass Stabilität in diesem Augenblick fundamental ist. Wir schauen auf die Interessen des Landes, nicht auf unsere eigenen.“ Dass er seine Entscheidung, die mühsam zusammengeschusterte und erst fünf Monate alte Regierungskoalition unter Ministerpräsident Enrico Letta de facto aufzukündigen, offiziell mit der geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer begründet, lässt vermuten, dass er seine Landsleute für reichlich naiv hält. Kaum einer dürfte noch nicht durchschaut haben, dass es ihm nicht um die Sorgen Italiens, sondern ausschließlich um seine eigenen Probleme mit der Justiz geht.
Alleine deswegen kommt es wohl am Mittwoch in beiden Kammern des Parlaments (dem Senat und der Abgeordnetenkammer) zu einer Vertrauensfrage Lettas, der dabei auf Stimmen von Abtrünnigen aus der Berlusconi-Partei hofft. Ob man ihm die Daumen drücken soll, dass er die Abstimmung gewinnt, ist eine schwierige Frage. Sie gleicht in etwa der Wahl zwischen Pest und Cholera: Denn selbst wenn Letta seine Regierung fortsetzen kann, hätte er wohl keine stabile Mehrheit mehr hinter sich. Die nächste politische Krise wäre programmiert.
Die Alternative hieße Neuwahlen, gegen die sich Staatspräsident Giorgio Napolitano wehrt. Unter anderem deshalb, weil an deren Ende wohl erneut ein Patt zwischen den Lagern stünde. Dennoch könnten Neuwahlen das kleinere Übel sein, allerdings nur, wenn sie einen Neuanfang in der italienischen Politik herbeiführen – ohne Berlusconi.
Eine Voraussetzung dafür ist aber, dass sich seine Parteifreunde von ihm emanzipieren und erkennen, dass der 77-Jährige sie als Marionetten für seine eigenen Interessen missbraucht. Darüber hinaus muss die italienische Justiz ernst machen: Die Haftstrafe, zu der Berlusconi verurteilt ist – von den vier Jahren müsste er eines noch absitzen –, ist rechtskräftig, außerdem droht ihm ein Ämterverbot. Nur dann wäre man vor weiteren Streichen Berlusconis sicher.