Es mag nicht so recht passen. Deutschland feiert an diesem Freitag mit einem großen Volksfest in Hannover den 24. Jahrestag seiner Wiedervereinigung, während ringsherum in Europa Unabhängigkeitsbewegungen an Boden gewinnen und Separatisten die Loslösung ihrer Region von ihren Staaten fordern. Daran ändert auch das gescheiterte Referendum in Schottland nichts. Katalanen und Basken, Flamen und Veneter wollen weg von Spanien und Frankreich, Belgien und Italien. Der Nationalstaat, im 19. Jahrhundert noch als das Ziel der Geschichte, als Erfüllung des Strebens der Völker gefeiert, hat sich, so scheint es, ein Stück weit überlebt.
Deutschland dagegen feiert seine Einheit, die es vor 24 Jahren in Frieden und Freiheit erhalten hat. In einem einzigartigen historischen Augenblick hatte sich nach dem Fall der Mauer 1989 ein Zeitfenster geöffnet, in dem die Teilung überwunden und die Nation, die als Folge des Zweiten Weltkriegs besiegt, besetzt und geteilt worden war, wieder hergestellt werden konnte. Und auch ein knappes Vierteljahrhundert später wird die Vereinigung von niemandem ernsthaft infrage gestellt. Nicht einmal die Bayern wollen wirklich weg von Deutschland, zwar träumt die Bayernpartei von einem unabhängigen Freistaat, doch die dümpelt als Splitterpartei vor sich hin.
Deutschland einig Vaterland. Seit 1990 ist, wenn auch mit Schmerzen, Verwerfungen und gewaltigen Kraftanstrengungen, zusammengewachsen, was zusammengehört. Beachtliches wurde geleistet. Wohnungen wurden modernisiert und Städte saniert, neue Arbeitsplätze geschaffen und die marode Infrastruktur erneuert. Die Zeiten, in denen die Arbeitslosenquote im Osten bei 20 oder gar 25 Prozent lag, sind lange vorbei, in der Zwischenzeit liegt sie bei 10,3 Prozent, der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung, Thüringen und Sachsen haben bereits den Anschluss an das Niveau der Westländer geschafft. Zwar sind die Produktivität wie die Löhne noch immer geringer als im Westen, dafür lebt es sich zwischen Thüringer Wald und Rügen auch billiger.
Und auch die Massenabwanderung konnte gestoppt werden. Regionen wie Jena, Leipzig, Dresden und Potsdam ziehen Zuwanderer an, locken mit lukrativen Arbeitsplätzen und einem attraktiven kulturellen Angebot.
Deutschlands Stärke ist seine Vielfalt. Im Gegensatz zu Frankreich oder auch Großbritannien war es noch nie ein Zentralstaat mit einer dominierenden Hauptstadt und einem benachteiligten Rest, sondern ein föderaler Bundesstaat mit starken, selbstbewussten Ländern und pulsierenden Städten. Man ist Deutscher – und gleichzeitig stolzer Bayer oder Badener, Schwabe oder Sachse. Das lässt einen weitergehenden Separatismus erst gar nicht aufkommen. Wie stark dieses Bewusstsein ist, zeigte sich nach dem Fall der Mauer, als die Länder, die einst vom SED-Regime aufgelöst wurden, wiederentstanden und maßgeblich zur Identifikation der Bürger mit dem Gemeinwesen beitrugen.
Diese Stärke gilt es zu erhalten. In diesem Herbst haben die Verhandlungen von Bund und Ländern begonnen, um die Finanzbeziehungen zwischen dem Gesamtstaat und seinen Gliedern sowie den Ländern untereinander ab 2020 auf eine neue Grundlage zu stellen. Vordergründig geht es dabei ums Geld, um viel Geld, tatsächlich aber um viel mehr – um die Zukunft der Nation in einer sich rapide wandelnden Welt.