Von seiner Seite nur Schweigen. Thomas Mair sagte nichts. Erklärte sich nicht. Verzog kaum eine Miene. Dafür verschränkte er gerne seine Arme, während er den Ausführungen im Londoner Gerichtssaal lauschte, die nicht nur grausam klangen, sondern in deren Fokus er außerdem stand. Mair, 53 Jahre alt, arbeitsloser Gärtner mit angegrautem Vollbart und zurückweichendem Haaransatz, war angeklagt, die britische Labour-Abgeordnete und leidenschaftliche EU-Befürworterin Jo Cox umgebracht zu haben. Am Mittwoch wurde er vor dem Strafgerichtshof Old Bailey in London nach lediglich zweistündiger Beratung von zwölf Geschworenen schuldig gesprochen.
Nur wenige Male hatte sich Mair überhaupt geäußert. Kurz nach dem Mord an der Parlamentarierin am 16. Juni bei einer ersten gerichtlichen Anhörung antwortete der selbst ernannte „Aktivist" auf die Frage nach seinem Namen mit den Worten „Tod den Verrätern, Freiheit für Britannien“. Die Staatsanwaltschaft sprach von Beginn an von einer politisch motivierten Tat.
Es passierte sieben Tage vor dem Referendum um die Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU. Jener Donnerstag im Juni begann als normaler Tag in einer alles anderen als normalen Zeit. Im traditionell auf Höflichkeit bedachten Vereinigten Königreich war es im Jahr 2016 alltäglich geworden, gegen Einwanderer zu wettern, auf die politische Klasse zu schimpfen, Experten als Populisten abzutun, mit Nazi-Vergleichen zu kokettieren und gewählte Volksvertreter zu beschimpfen. Der Wahlkampf, er geriet völlig aus den Fugen. Der Ton war schrill. Aggressiv. Beleidigend.
An jenem Tag machte sich die Labour-Abgeordnete Helen Joanne Cox, von allen nur „Jo“ genannt, um die Mittagszeit auf den Weg in eine Bücherei inmitten von Birstall, einer kleinen Stadt in der nordenglischen Grafschaft West Yorkshire, um sich den Fragen ihrer Wähler zu stellen. Die 41-jährige Idealistin kämpfte für die europäische Idee, engagierte sich für Flüchtlinge und verteidigte unaufhörlich Immigration. Thomas Mair lauerte ihr bereits auf der Straße auf, bewaffnet mit zwei Handfeuerwaffen und einem Messer. Damit schoss er ohne Vorwarnung auf die junge Abgeordnete und stach dann auf sie ein, während sie bereits in einer Blutlache am Boden lag.
Ein 77-jähriger Mann, der Jo Cox zur Hilfe eilte, erlitt ebenfalls eine Stichverletzung im Bauch. Er überlebte.
Zwei Kolleginnen soll Cox zugerufen haben: „Geht weg! Lasst ihn lieber mich verletzen – lasst ihn nicht euch verletzen!“ Sie berichteten vor Gericht auch, wie Mair kurz abließ und sich entfernte, nur um umzukehren und abermals auf die noch lebende Jo Cox einzustechen. Während der Tat, so erinnern sich Augenzeugen, rief er mehrfach „Britain first“ („Großbritannien zuerst“) – es ist der Name einer rechtsextremen Organisation. „Zur vergifteten Atmosphäre vor Jos Tod hat nicht nur die erhitzte Debatte vor dem EU-Referendum beigetragen. Es ist eine tiefergehende Krankheit in unserer Politik: Die steigende Tendenz, die Schuld für unsere Probleme anderen in die Schuhe zu schieben – seien es Einwanderer, Muslime oder Europa“, sagte der Witwer Brendan Cox kürzlich.
Der Prozess fand vor dem Strafgerichtshof Old Bailey in London statt, weil das Verfahren unter das sogenannte Terrorismus-Protokoll fiel. Und es wurde offenbar, dass sich der Mörder akribisch vorbereitet hatte. Er befasste sich mit dem Ku-Klux-Klan und den Nazis, recherchierte über Serienmörder und rechtsextreme Politiker. Zudem hatte Mair Zeitungsartikel ausgeschnitten, die sich mit Cox' Unterstützung für die EU-Mitgliedschaft beschäftigten. In einem kleinen Bücherregal neben seinem Einzelbett standen Bücher über deutsche Militärgeschichte, den Nationalsozialismus und ideologisches Material. Darüber hatte Mair wie zur Zierde einen kleinen, goldenen Adler aus dem Dritten Reich angebracht, versehen mit dem Hakenkreuz.