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ISTANBUL
Lebenslang für türkischen Ex-Generalstabschef
Verurteilt: Weil er Verschwörer in der Türkei gedeckt haben soll, muss der frühere Generalstabschef Ilker Basbug lebenslang hinter Gitter.
Foto: dpa | Verurteilt: Weil er Verschwörer in der Türkei gedeckt haben soll, muss der frühere Generalstabschef Ilker Basbug lebenslang hinter Gitter.
Von unserem Korrespondenten gerd Höhler
 |  aktualisiert: 05.08.2013 18:59 Uhr

Nach fast fünf Jahren Verhandlungsdauer hat das Gericht im Strafverfahren gegen mutmaßliche Mitglieder des Geheimbundes Ergenekon am Montag die Urteile verkündet. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, auf einen gewaltsamen Sturz der Regierung des islamisch-konservativen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan hingearbeitet zu haben.

General a.D. Veli Kücük, eine der Schlüsselfiguren der Verschwörergruppe, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Auch der frühere türkische Generalstabschef Ilker Basbug, der die Verschwörer gedeckt haben soll, muss lebenslang ins Gefängnis. Gegen die meisten anderen der fast 300 Angeklagten verhängten die Richter zehn bis 20 Jahre Haft. Für 21 endete der Prozess mit Freispruch.

Fast 2500 Seiten umfasste die Anklageschrift, das Beweismaterial füllte mehr als 39 000 Seiten. An 600 Tagen wurde verhandelt. Vor Gericht standen anfangs 86 Angeklagte, deren Zahl im Laufe des Prozesses auf 275 anwuchs – ein Mammutverfahren, für das im Hochsicherheitsgefängnis von Silivri 50 Kilometer westlich von Istanbul, eigens ein großer Verhandlungssaal gebaut werden musste. 66 der Angeklagten saßen in Untersuchungshaft, einige von ihnen fast seit über fünf Jahren. Die lange Untersuchungshaft löste international, aber auch in der Türkei Kritik aus. Drei Angeklagte verstarben während des Verfahrens.

Es war ein hoch politischer Prozess, der die Türkei tief gespalten hat. Er ist Teil des erbitterten Machtkampfes zwischen der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Erdogan auf der einen und der kemalistischen Elite sowie dem Militär auf der anderen Seite. Erdogans Gegner warfen der Regierung vor, die Vorwürfe seien konstruiert. Erdogan wolle mit dem Strafverfahren Kritiker einschüchtern, um seine islamistische Agenda umzusetzen.

Begonnen hatte die Ergenekon-Affäre 2007, als Fahnder in einem Haus im Istanbuler Stadtteil Ümraniye ein Waffenlager aushoben. Die Waffen wurden dem Geheimbund Ergenekon zugeschrieben, einer nationalistischen Untergrundorganisation, die seit Erdogans Amtsantritt 2003 auf den Sturz des Premiers hingearbeitet haben soll. Zu den Verschwörern gehörten Militärs, Anwälte, Akademiker, Geschäftsleute, Oppositionspolitiker und Journalisten. Der Name der Organisation bezieht sich auf den Ergenekon-Mythos. Die vor allem von Ultra-Nationalisten tradierte Sage erzählt, wie die Türken in einem Gebirgstal Zentralasiens Zuflucht vor Feinden suchten, dort über Generationen hinweg erstarkten und schließlich von einer grauen Wölfin zurück in die Steppe und zu neuer Größe geführt wurden.

Nach der Aushebung des Waffenlagers in Ümraniye wurden in den folgenden Monaten bei zahlreichen Razzien Verdächtige festgenommen und belastende Dokumente sichergestellt. Die Verschwörer sollen geplant haben, Dutzende Prominente wie den Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk sowie bekannte Unternehmer und Politiker zu ermorden, gewalttätige Massenproteste zu inszenieren, Bombenanschläge zu verüben und einen bewaffneten Konflikt mit dem benachbarten Griechenland zu provozieren.

Für die Ausführung der geplanten Attentate bildete der Geheimbund laut Anklage zwölf Spezialeinheiten. Die Aktionen trugen Codenamen wie „Mondschein“, „Blondine“ und „Handschuh“. Das Ziel soll gewesen sein, die Türkei in ein Chaos zu stürzen und so den Boden für einen Militärputsch zu bereiten. Die Angeklagten wiesen die Vorwürfe zurück. Auch der türkische Generalstab bestritt jede Verwicklung in die angebliche Verschwörung.

Zur Urteilsverkündung waren nur die Anwälte und einige Journalisten, nicht hingegen die Öffentlichkeit zugelassen. Um Demonstrationen abzublocken, wurden die Zufahrtsstraßen nach Silivri von der paramilitärischen Gendarmerie blockiert. Gegen eine Gruppe von Demonstranten, die sich über ein Feld zu nähern versuchten, ging die Polizei mit Tränengas vor. Sogar der Luftraum über Silivri war für den Flugverkehr gesperrt.

Mit den am Montag verkündeten Urteilen wurde aber wohl noch kein Schlussstrich unter die Ergenekon-Affäre gezogen. Beobachter erwarten, dass viele der Verurteilten in die Revision gehen werden.

 
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