Mit der lebenslangen Haftstrafe soll Bo Xilai für immer aus dem Weg geräumt werden. Chinas neue Führung will einen Schlussstrich unter den Skandal um Mord, Korruption und Intrigen ziehen. In Handschellen führten Polizisten den 64 Jahre alten Politstar am Sonntag nach der Urteilsverkündung aus dem Gerichtssaal in Jinan.
„Sie wollen ihn aus dem politischen Leben verschwinden lassen, doch könnte das misslingen“, sagte der Politikwissenschaftlicher Zhang Ming von der Volksuniversität der Nachrichtenagentur dpa in Peking. „Die Affäre um Bo Xilai ist eine politische Angelegenheit, und politische Fälle sind schwer zu einem Abschluss zu bringen.“
Noch in einem letzten Brief stellte sich das Ex-Politbüromitglied als politisch Verfolgter dar. „Mir ist in der Tat Unrecht geschehen, aber die Wahrheit wird eines Tages ans Licht kommen“, schrieb der 64-Jährige an seine Familie. „Ich werde ruhig im Gefängnis warten.“ Schon sein Vater Bo Yibo sei mehrmals inhaftiert worden. „Ich werde in seine Fußstapfen treten.“
Der Revolutionsveteran Bo Yibo war von den Nationalisten und später in der Kulturrevolution (1966-76) ins Gefängnis gesteckt worden. Später wurde Bo Yibo rehabilitiert, stieg in die Führung auf und gehörte zu den „acht Unsterblichen“ der Partei.
Dass Bo Xilai eines Tages ähnlich wieder aufersteht, will Chinas „starker Mann“ Xi Jinping auf jeden Fall verhindern. Der Prozess ist für die Partei allerdings schlecht gelaufen. Es sei nicht gelungen, das Ansehen Bo Xilais als Vorkämpfer für sozial Schwache in linkskonservativen Kreisen zu beschädigen, sagte Zhang Ming zu der kämpferischen Strategie des charismatischen Politikers. „Sein Auftritt vor Gericht zielte vor allem auf seine Gefolgschaft.“
Staatsanwalt und Gericht scheinen die Persönlichkeit von Bo Xilai unterschätzt zu haben. „Deswegen haben sie die Sache vermasselt“, sagte auch der liberale Kommentator Zhang Lifan. Die Auswirkungen auf die öffentliche Meinung seien für die Partei „nicht ideal“ gewesen.
Beobachter wunderten sich auch, dass die Machenschaften Bo Xilais als Parteichef in der 30-Millionen-Metropole Chongqing, die Unterschlagung von Grundbesitz und illegale Methoden in seinem Kampf gegen das organisierte Verbrechen nicht zur Sprache gekommen waren.
Eine schonungslose Aufklärung hätte aber auch andere Spitzenpolitiker, möglicherweise bis hoch ins Politbüro, in den Skandal hineinziehen können. Welche Wellen die Affäre heute noch schlägt, zeigen jüngste Berichte über angebliche Korruptionsvorwürfe gegen den früheren „Sicherheitszaren“ Zhou Yongkang, der sich im Politbüro gegen einen Sturz Bo Xilais gewandt und damit die Führung gespalten haben soll. Er hat enge Beziehungen in die Ölindustrie, die ebenfalls ins Visier der Ermittler geraten ist.
„Der Fall von Bo Xilai kann noch mehr nach sich ziehen“, sagte Zhang Lifan. Er könnte „die Zerwürfnisse unter den Parteiführern“ noch verstärken. Dass verschiedene Machtzentren miteinander kämpften, zeige sich schon in unterschiedlichen Reaktionen großer Zeitungen auf die verschärfte Verfolgung einflussreicher Blogger im Internet.
Zum einen werde hier die Meinungsfreiheit eingeschränkt, zum anderen litten die einfachen Menschen unter schlechterem Wirtschaftswachstum. „Die Kluft zwischen Gesellschaft und Politikern wird nur noch größer“, warnte Zhang Lifan. „Die Konfrontation nimmt zu.“