Tausende reisen zu den Feiertagen nach Israel und in die Palästinensergebiete, um Weihnachten in der Region zu feiern, in der Jesus geboren wurde und aufwuchs. Doch den Deutschen Norbert Schwake (im Bild), der seit Jahrzehnten in Nazareth lebt, berührt die biblische Szenerie kaum. Dabei ist er nicht nur religiös, sondern auch geschichtsbewusst: Er hat sein Leben der Pflege eines deutschen Soldatenfriedhofs in Israel gewidmet.
Norbert Schwake ist ein verheirateter Priester. Ein Deutscher, der eine Araberin heiratete und den gemeinsamen Kindern hebräische Namen gab. Und ein Christ, der in der Armee des Judenstaats diente. Sein Hobby passt in dieses Muster krasser Widersprüche: Der pensionierte Arzt kümmert sich seit 2001 um Tote – um die Gräber deutscher Kriegsgefallener. Um einen Friedhof, der von den Nazis errichtet wurde.
Schwakes Reich beginnt hinter einer mannshohen Mauer aus Sandstein. Wenn er die schwere Tür aufschiebt, erscheint ein verblüffendes Idyll. Zypressen recken sich in den Himmel, Olivenbäume rascheln im Winterwind, Opuntia-Kakteen werfen zackige Schatten auf braune Erde. Hier herrscht himmlische Ruhe. Als wär's ein Ausblick aufs Paradies – stünde da nicht der massive Turm des Nazi-Architekten Robert Tischler. Hinter dem Krankenhaus von Nazareth, auf einem Hügel mit unverbaubarem Blick auf jene Stadt, in der Jesus aufwuchs, befindet sich einer der wichtigsten deutschen Soldatenfriedhöfe in Nahost.
„Hier liegen die Gebeine von rund 250 Deutschen, die im Ersten Weltkrieg in Palästina fielen“, sagt Schwake. Keiner kennt ihre Geschichten so gut wie er. Denn die Angehörigen haben die Männer, die ihr Leben für Kaiser und Vaterland fern der Heimat ließen, längst vergessen.
Etwa 20 000 Deutsche entsandte das Kaiserreich im „Asien-Korps“ in den Nahen Osten, um den Osmanen im Kampf gegen die Alliierten beizustehen. „Rund 15 000 von ihnen kämpften in Palästina“, berichtet Schwake. Und viele fielen hier auch.
Den Friedhof von Nazareth plante der Chefarchitekt des Volksbunds deutsche Kriegsgräberfürsorge, Robert Tischler. So entstand 1934 Nazi-Architektur mitten in Palästina, nicht das einzige Paradox hier. Das Dritte Reich setzte so auch jüdischen Soldaten ein Denkmal. „Mehr als zwei Prozent der Männer im Asien-Korps waren Juden, viel mehr als ihr Anteil in der deutschen Bevölkerung“, weiß Schwake.
Der Friedhof ist sein Lebensinhalt geworden. Wenn er nicht Unkraut jätet, mit einem Pinsel die Goldfarbe auf den Gedenktafeln auffrischt oder den Rasen pflegt, dann sucht er Material über dieses vergessene Kapitel deutscher Geschichte. Doch am meisten beschäftigt ihn die historische Symbiose zwischen Juden und Deutschen: „Anfangs erhielt der berühmte jüdische Architekt Alexander Baerwald vom deutschen Konsul den Auftrag, den Friedhof zu entwerfen“, sagt Schwake. Mit Wehmut fügt er hinzu: „Damals konnte man noch gleichzeitig glühender deutscher Patriot und überzeugter Zionist sein.“ Doch eine Krankheit raffte Baerwald dahin, bevor er die Entwürfe fertigstellen konnte.
Schwake schlug auch in seinem Privatleben undenkbare Brücken. „Ich bin gemeinsam mit Adolf Eichmann nach Israel gekommen“, lacht er. Er spricht nicht nur fließend Hebräisch und Arabisch, sondern hat sich auch den Galgenhumor der Israelis zu Eigen gemacht.
Im Jahr 1961, als Israel dem Nazi Adolf Eichmann den Prozess machte, war die Reise ins Land der Holocaustopfer für Deutsche eine heikle Sache. Schwake wollte Priester werden, war auf dem Weg zu einem Theologiestudium in Jordanien. Nach der Weihe und einem Zwischenstopp in Rom ging er nach Jerusalem, wo er in einer deutschen Schule Religion unterrichtete. Doch er fühlte sich unwohl: „Sagen wir mal, meine Meinung ist nicht immer mit dem Establishment konform.“
Man muss nicht lange bohren, um zu entdecken, was er damit meint: Sein Lieblingsort in Nazareth ist die Grotte unter der Verkündigungsbasilika, wo Erzengel Gabriel der Überlieferung zufolge der Jungfrau Maria erschien. „Es ist der älteste Teil der Kirche. Man findet dort kein einziges Kreuz. Das muss man sich vorstellen: Es gab ein Christentum ohne Kreuz! Wenn man das sieht, beginnt man vieles zu hinterfragen“, sagt Schwake. Bis heute scheint er sich zu wünschen, dass Juden- und Christentum sich niemals getrennt hätten: „Eine Messe fühlt sich für mich am authentischsten an, wenn sie auf Hebräisch gelesen wird“, so Schwake.
Trennlinien hat der 74 Jahre alte Mann aus Emmerich nie akzeptiert. Anfang der 70er Jahre hängte er die Kutte an den Nagel und studierte in Münster Medizin. Als er 1978 für ein praktisches Jahr nach Jerusalem kam, lernte er im Krankenhaus „die erste arabische Christin kennen, die in Israel Medizin studierte“. Sie heirateten. Der deutsche Christ erhielt nun dank der Bindung zu einer Araberin die israelische Staatsbürgerschaft: „Das war damals völlig problemlos“, meint er. Für ihn war es selbstverständlich, in der israelischen Armee zu dienen. Die drei Söhne des Paares haben hebräische Namen und dienten ebenfalls in Kampfeinheiten. Der ehemalige Priester kann darin kein Problem erkennen: „Ich sitze nicht zwischen, sondern auf allen Stühlen.“
Dass er Weihnachten in dem Land verbringt, in dem Jesus geboren wurde, ist für Schwake fast irrelevant: Mit einem zynischen Lächeln erwähnt er den neuen Werbeslogan seines Wohnorts: Nazareth – der weihnachtlichste Ort der Welt. „Ich finde es traurig, dass der eigentliche Sinn des Fests selbst hier vergessen wurde.“ Er vermisst weder Schnee noch Zimtsterne oder Glühwein. Dafür fällt es ihm besonders zu Weihnachten schwer, die Angehörigen der Gefallenen zu verstehen.
Seit er sich um den Friedhof kümmert, hat er versucht, alle zu kontaktieren: „Aber bis heute hat nur einer das Grab seines Vorfahren aufgesucht.“ Dabei findet er, man sollte sich gerade dann, wenn man mit der Geburt Jesu einen Neuanfang feiere, daran erinnern, dass „der Tod und die Toten zum Leben dazugehören“.