Bernd Lucke steht in den kleinen, bescheidenen Räumen der Bundesgeschäftsstelle der AfD und strahlt übers ganze Gesicht. „Das ist ein super Ergebnis“, jubelt der Vorsitzende und Europa-Abgeordnete, der von zahlreichen Parteifreunden umringt ist, die AfD sei „endgültig“ in der deutschen Parteienlandschaft angekommen. „Es ist Zeit für eine neue politische Kraft in Deutschland, viele Bürger halten die Alt-Parteien für verbraucht“, stellt er in einer ersten Analyse fest. Und im Gegensatz zur FDP sei die AfD die Partei, „die einen wahren Liberalismus praktiziert“.
Vor knapp elf Monaten, bei der Bundestagswahl am 22. September 2013, war die von Lucke gegründete „Alternative für Deutschland“ noch denkbar knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und musste sich mit 4,7 Prozent der Stimmen begnügen. Doch an diesem Sonntag ist diese bittere Niederlage vergessen. Als um Punkt 18 Uhr die ersten Prognosen über den Ausgang der Landtagswahl im Freistaat Sachsen über die Bildschirme flimmern, gibt es keinen Zweifel mehr: Gut eineinhalb Jahre nach ihrer Gründung ziehen die Euro-Skeptiker in das erste Landesparlament in der Bundesrepublik ein und werden künftig im Dresdner Landtag am Ufer der Elbe vertreten sein. Aus dem Stand erreichen sie fast zehn Prozent.
Gänzlich überraschend kommt dieses Ergebnis nicht. Schon bei der Europawahl im Mai hatte die AfD in Sachsen mit 10,1 Prozent ihr bestes Ergebnis erzielt, in den grenznahen Regionen zu Polen und Tschechien, in Görlitz, der Sächsischen Schweiz und der Oberlausitz, erzielte sie gar satte zweistellige Ergebnisse. Mit dezidiert nationalkonservativen Slogans platzierte sie sich rechts von der Union, fischte gezielt am rechten Rand und nahm der rechtsextremen NPD auf diese Weise Stimmen weg, deren Wiedereinzug in den Landtag den ganzen Abend über auf der Kippe stand.
Lange Gesichter hingegen bei der FDP. Der Niedergang der Liberalen setzt sich unaufhaltsam fort, die letzte schwarz-gelbe Regierung in der Bundesrepublik wird abgewählt, mehr noch: Wie vor einem Jahr auf Bundesebene scheitert die FDP als Regierungspartei an der Fünf-Prozent-Hürde und fliegt aus dem Landtag. Und das, obwohl FDP-Landeschef Holger Zastrow sich demonstrativ von der eigenen Bundespartei distanziert und sich ganz auf Sachsen konzentriert hat.
Eine Erklärung für dieses Desaster gibt es nicht, weder in Berlin noch in Dresden, denn die Bilanz der CDU-FDP-Landesregierung lässt sich sehen; es gab keine Koalitionskrisen, von Wechselstimmung war im Wahlkampf nichts zu spüren. „Wir müssen die FDP neu aufrichten“, kündigt Parteichef Christian Lindner an. „Das klassische Profil der FDP ist unverändert attraktiv“, behauptet er fast trotzig. Gleichwohl sei es für eine Partei in der außerparlamentarischen Opposition schwierig, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. „Das wird noch einiges an Zeit benötigen.“
Verhaltene Freude dagegen bei der CDU wie bei der SPD. Die Union bleibt mit knapp unter 40 Prozent zwar mit weitem Abstand stärkste politische Kraft im Freistaat, dennoch erzielt sie trotz der Popularität ihres Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich ihr schlechtestes Ergebnis seit 1990 und muss sich nach einem neuen Koalitionspartner umsehen. Alles spricht für eine Koalition mit der SPD, die nirgendwo so schwach ist wie in ihrem historischen Stammland Sachsen, kaum von der Stelle kommt und bei mageren 12,5 Prozent verharrt. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi spricht denn auch von einem „bitter-süßen Ergebnis“, stellt aber auch selbstbewusst fest: „Im sächsischen Landtag geht nichts an der SPD vorbei.“
Oder doch? Rein rechnerisch hätte auch eine Koalition von CDU und AfD eine Mehrheit. Doch von einem derartigen Bündnis wollen am Wahlabend weder die Christdemokraten noch die Euro-Skeptiker etwas werden. „Wir wollen keine Koalition mit der AfD“, bringt es Michael Grosse-Brömer, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, schon kurz nach Schließung der Wahllokale auf den Punkt, bei der AfD handele es sich um eine „reine Protestpartei“, es geben keine programmatische Übereinstimmung zwischen der CDU und den Neulingen auf dem politischen Parkett.
Und auch AfD-Chef Bernd Lucke schließt ein Bündnis mit den Christdemokraten aus. Dies sei angesichts der Haltung der Union unrealistisch. Nur Wahlsieger Stanislaw Tillich wollte sich nicht festlegen. Über Koalitionen werde erst am heutigen Montag in den Parteigremien gesprochen, sagt er.
Wahlbeteiligung
Die Beteiligung bei der Landtagswahl in Sachsen ist die zweitniedrigste seit Kriegsende. Nach ersten Hochrechnungen gaben nur 48,5 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Erst einmal zuvor lag die Beteiligung bei einer Landtagswahl unter 50 Prozent: 2006 stimmten in Sachsen-Anhalt nur 44,4 Prozent der Wahlberechtigten ab. Grund für die magere Beteiligung in diesem Jahr könnte das regnerische Wetter gewesen sein – und die Tatsache, dass die Wahlen am letzten Ferientag stattfanden. Die Opposition hatte den Wahltermin heftig kritisiert. Traditionell fällt die Wahlbeteiligung im Osten niedriger aus als im alten Bundesgebiet. 2011 lag die Beteiligung an der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt bei 51,2 Prozent. Ähnlich mau sah es mit 51,5 Prozent Beteiligung bei der Landtagswahl 2011 in Mecklenburg-Vorpommern aus. Text: dpa