Landtagswahlen in Sachsen waren in den Vergangenheit so spannend wie die Lektüre des Telefonbuches von Leipzig. Der Ministerpräsident kam stets von der CDU, und wenn bis zum Wahlabend eine Frage offen blieb, war es eigentlich nur die, ob die Union alleine würde regieren können.
Vor der Wahl an diesem Sonntag ist die Ausgangslage nicht viel anders – und doch völlig neu. Sachsen ist nicht nur das letzte Bundesland, in dem die FDP nach ihrem dramatischen Absturz noch mit regiert, es könnte auch das erste sein, in dem die Euro-Skeptiker der Alternative für Deutschland (AfD) in einen Landtag einziehen, Seite an Seite möglicherweise mit der NPD, die in Sachsen besonders großen Zulauf hat. Beides zusammen, eine anhaltende Talfahrt der Freidemokraten und ein anhaltender Höhenflug der AfD, könnte die politische Tektonik in Deutschland nachhaltig verändern.
Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat diese Diskussionen zuletzt noch befeuert, weil er eine Koalition mit den Anti-Euro-Populisten nicht ausschließen will. Er selbst prophezeit zwar, dass die AfD die nächsten beiden Jahre nicht überleben werde, in seinem Wahlkampf allerdings hält der 55-Jährige sich alle Optionen offen – und von denen hat er reichlich.
Martin Dulig, der Spitzenkandidat der SPD? Wäre gerne Minister im nächsten Kabinett Tillich. Die Grüne Antje Hermenau? Sagt von sich, sie sei eine konservative Politikerin und schwarz-grüne Trendsetterin. Der Liberale Holger Zastrow? Macht die Wahl zu einer Art Moratorium für Schwarz-Gelb. Und Tillich selbst? Gibt nur zu bedenken, dass ein Bündnis mit den Grünen „eine Reise ins Ungewisse“ wäre. Vorstellen aber kann der Ministerpräsident sich das sehr wohl. Bei Werten um die drei Prozent für die FDP ist eine Neuauflage der alten Koalition im Moment schließlich eher unwahrscheinlich. Entmutigen lässt Zastrow sich davon nicht. „Wir haben eine gute Leistungsbilanz“, sagt er trotzig, und dass es Sachsen vor allem deshalb so gut gehe, weil dort eine Partei mit regiere, die streng marktwirtschaftlich denke.
Frischen Wind in den Wahlkampf hat zuletzt vor allem der SPD-Kandidat Dulig gebracht, 40 Jahre jung, Vater von sechs Kindern und ein Mann von entwaffnender Fröhlichkeit. „Wir haben das höchste Wachstumspotenzial“, schmunzelt er. Würde die SPD sich von zehn auf 13 Prozent steigern, grinst er, „sind das 30 Prozent Zuwachs.“
Doch das Protestpotenzial bei den Wählern ist groß. Auf sieben Prozent und mehr taxieren die Demoskopen die AfD. Deren Spitzenfrau Frauke Petry hatte zuletzt vor allem mit Forderungen wie der nach dem Erhalt der deutschen Kulturnation durch eine höhere Geburtenrate und mehr deutsches Liedgut im Rundfunk von sich reden gemacht. Den Vorwurf, ihre Partei spiele mit den Sorgen der Menschen, bestreitet sie: „Wir verbreiten keine Angst“, sagt sie. „Aber die Euro-Krise ist nicht vorbei.“
Fakten zur Landtagswahl
2,4 Millionen Sachsen wählen am Sonntag einen neuen Landtag. Bisher wird der Freistaat von einer Koalition aus CDU und FDP regiert, sie ist das letzte schwarz-gelbe Bündnis in einem Bundesland. Der regierende Ministerpräsident Stanislaw Tillich ist nach Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt bereits der dritte Christdemokrat in der Dresdner Staatskanzlei. Für die SPD ist sie seit 1990 schier unerreichbar. Damals kamen die Sozialdemokraten noch auf 19 Prozent, bei den letzten Wahlen waren es noch magere 10,4 Prozent.
In den gegenwärtigen Umfragen liegt die CDU je nach Institut zwischen 39 und 42 Prozent, was für eine Alleinregierung vermutlich nicht reichen wird. Die SPD kommt auf 14 bis 15 und die Linke auf 19 bis 20 Prozent. Die Grünen (sechs Prozent) und die Alternative für Deutschland (sieben Prozent) dürfen mit dem Einzug in den Landtag rechnen, die FDP droht ihn mit Werten um die drei Prozent zu verpassen. Die NPD sehen die meisten Meinungsforscher bei Werten um die fünf Prozent. Text: rwa