
Seine Tage als Nummer zwei im Staate sind gezählt. Für den neuen Bundestag, der am 24. September gewählt wird, tritt Norbert Lammert nicht mehr an, damit endet auch seine Amtszeit als Präsident des Parlaments.
Zwölf Jahre hatte der Christdemokrat aus Bochum dieses prestigeträchtige Amt inne und es durch seine ebenso wortgewaltige wie humorvolle Art geprägt. Nur der CDU-Politiker Eugen Gerstenmaier, der von 1954 bis 1969 an der Spitze des Bundestags stand, amtierte länger.
Doch zum Ende seiner Präsidentschaft gibt Lammert seine noble Zurückhaltung auf und bläst zur Attacke gegen das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. So groß scheint sein Ärger über so manches Urteil der Hüter der Verfassung während seiner Amtszeit zu sein, dass er in ungewöhnlich scharfer Form in einem fast ganzseitigen Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom Donnerstag das oberste Gericht Deutschlands abkanzelt.
Sein Hauptvorwurf: Die Richter seien mittlerweile nicht mehr nur bloße Hüter der Verfassung, sondern mischten sich zu intensiv in die Arbeit des Gesetzgebers ein. Es gebe einen „richterlichen Übereifer“, Dinge zu regeln oder sich selbst Zuständigkeiten einzuräumen, „die eigentlich andere haben“, so Lammert, das Gericht habe seine „kluge Zurückhaltung“ der Vergangenheit aufgegeben und den Gesetzgeber herausgefordert, „indem es die geltende Verfassung durch schöpferische Auslegung weiterentwickelt“.
Und dann droht Lammert unverhohlen mit einer Änderung des Grundgesetzes, um die Befugnisse des Gerichts zurückzudrängen. In Lammerts Worten liest sich das etwas harmloser, doch die Drohung ist unmissverständlich: „Ein sich in seinen Gestaltungsspielräumen limitiert sehender Gesetzgeber wird sich im Übrigen womöglich zu wehren suchen, indem er Dinge, für die nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts eine hinreichende verfassungsrechtliche Legitimation bislang noch nicht bestanden hat, seinerseits in die Verfassung schreibt, um für künftige Fälle eine ungewollte Rechtsprechung möglichst zuverlässig zu verhindern – und sich dabei durch diskrete Hinweise früherer Verfassungsrichter durchaus ermutigt fühlen.“
Die offene Kampfansage an das Verfassungsgericht begründet Lammert unter anderem mit dem Urteil zum Wahlrecht, das wegen der Überhang- und Ausgleichsmandate möglicherweise einen aufgeblähten Bundestag mit bis zu 700 Abgeordneten zur Folge hat. Die strengen Vorgaben der Karlsruher Richter zum Ausgleich der Überhangmandate seien verfassungsrechtlich nicht zwingend gewesen, so Lammert.
Mehr noch, in ihren praktischen Konsequenzen würden sie sich „als problematisch“ erweisen. Das Verfassungsgericht habe nicht nur „Leitplanken“ gesetzt, sondern den Gesetzgeber „eingemauert“. Die Kombination aus Empfehlungen und Erwartungen werde ein Ergebnis zur Folge haben, das „weitreichende Folgen für die parlamentarische Handlungsfähigkeit haben kann“.
Im Gegenzug habe Karlsruhe Kontrollrechte des Bundestags eingeschränkt, beklagt der Präsident des Bundestags.
Im Falle der NSA-Selektorenliste ließ das Gericht die parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung „nur sehr restriktiv“ zu „und bestätigte insofern Auskunftsrechte nicht, die die parlamentarische Mehrheit der Minderheit grundsätzlich zugestanden“ habe.