Die Börse begreift am schnellsten: Nachdem die Mächtigen der EU die Französin Christine Lagarde als künftige Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgekungelt hatten, schoss der Frankfurter Aktienmarkt auf ein Jahreshoch. Denn ihre Wahl heißt, dass die Politik des billigen Geldes weitergeht. Die Hoffnung der Sparer in Deutschland auf einen Anstieg der Zinsen ist vergebens. Gleichzeitig bedeutet die Personalentscheidung, dass weiter viel Kapital in Aktien und Immobilen fließen wird. Der Bauboom wird damit weiter befeuert, die Preise dürften weiter nur die Richtung nach oben kennen.
Führende deutsche Ökonomen flochten der 63-Jährigen dennoch Kränze. „Ihre große Stärke ist die enorme internationale Erfahrung und ihr politisches Geschick“, sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. In der Tat hat sich Lagarde als Direktorin des Internationalen Währungsfonds einen hervorragenden Ruf erworben, ist international hoch geschätzt. „Sie ist sicherlich in der Lage die unterschiedlichen nationalen Interessen und Perspektiven in der Währungsunion auszubalancieren“, erklärte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest.
Lagarde wird Ende des Jahres die Spitze der Notenbank übernehmen. Das achtjährige Mandat von Amtsinhaber Mario Draghi endet am 31. Oktober. Noch vergangenes Jahr hatte sie vehement erklärt, nicht an einem Top-Posten in Europa interessiert zu sein, nun fühlt sie sich „sehr geehrt“. Ihrem eleganten Auftreten in all ihren Ämtern haftet etwas Nobles an. Lagardes Mutter war überzeugt davon, von einer Gräfin abzustammen und verwendete viel Ehrgeiz darauf, ihre Kinder als Sprösslinge des Adels zu erziehen. In der Tat hat die Tochter eine beeindruckende Karriere hingelegt, obwohl sie die Aufnahmeprüfung an der französischen Kaderschmiede ENA vergeigte. Sie war stets die erste Frau auf dem Chefsessel – sei es bei der US-Anwaltskanzlei Baker & McKenzie, einer der größten der Welt, im französischen Finanz- und Wirtschaftsministerium sowie im Anschluss daran beim Währungsfonds in Washington. Nun setzt sie diese Reihe bei der EZB fort.
Für die Staats- und Regierungschefs war entscheidend, dass der Kurs Draghis fortgesetzt wird. Mit der ursprünglich nach deutschen Kriterien gestalteten Konzeption der Eurozone hat das nichts zu tun, wonach Staaten nicht mit der Notenpresse finanziert werden sollten. Die Währungsunion wird seit Jahren nur durch den massiven Einsatz der Währungshüter zusammengehalten. Ohne das billionenschwere Wertpapierkaufprogramm wäre Italien wahrscheinlich schon längst pleite. Weil Bundesbank-Präsident Jens Weidmann die Politik des billigen Geldes kritisch sieht, war er bei den südeuropäischen Ländern und in Paris nicht durchsetzbar. Kanzlerin Merkel hatte sich darauf fokussiert, für Deutschland den Posten des Kommissionschefs zu sichern.