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Wien
Kurz pokert hoch
Österreichs Bundeskanzler muss sich am Montag einer Misstrauensabstimmung im Parlament stellen. Die oppositionelle SPÖ möchte einen Experten als Regierungschef.
Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler von Österreich
Foto: Herbert Neubauer, dpa | Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler von Österreich
Mariele Schulze-Berndt
 |  aktualisiert: 29.05.2019 02:11 Uhr

Österreich erlebe gerade eine "Horrorshow", sagte der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) Wolfgang Katzian gestern bei der Eröffnung des Europäischen Gewerkschaftskongresses in Wien.Dabei hat die vom Strache Video ausgelöste Regierungskrise ihren Höhepunkt noch längst nicht erreicht. Gestern stimmte Bundespräsident van der Bellen zunächst einmal dem Vorschlag von Bundeskanzler Kurz zu, Innenminister Kickl und in der Folge alle FPÖ-Minister zu entlassen. Die von der FPÖ als  parteilose Expertin benannte Außenministerin Karin Kneissl wird bleiben. Kurz werde ihm bis zum Abend Spitzenbeamte oder ehemalige Spitzenbeamte nennen, die die vakanten Ministerien vorübergehend leiten könnten, so Van der Bellen.

Van der Bellen und Kurz wirkten gestern Nachmittag außergewöhnlich angespannt. Denn es  ist völlig unklar, ob der Bundeskanzler bis zur Neuwahl im Amt bleiben wird. Am Montag kommt es im Parlament zu einem Misstrauensvotum gegen ihn und seine MInister. Dessen Ausgang ist ungewiss. Van der Bellen kennt die Argumente der Opposition. Er hat mit Vertretern aller Parteien gesprochen. Dennoch sagte er gestern: "Ich denke über keinen Plan B. nach."

Sommerpause naht

Die ÖVP hat nur 61 der 183 Sitze im Nationalrat. Um weiter zu regieren, müsste sie sich wechselnde Mehrheiten suchen. Das hat mehrere Nachteile. Erstens könnten jederzeit mit einfacher Mehrheit die Regierungsexperten, Minister oder auch der Bundeskanzler abgewählt werden. Zweitens wäre es möglich, mit wechselnden Mehrheiten kostenträchtige Beschlüsse mit Langzeitwirkung zu fassen.
Der Vorteil einer Übergangsregierung wäre eine gewisse Stabilität nach außen. Österreich könnte nach der EU-Wahl wie bisher Einfluss auf Entscheidungen im Europäischen Rat nehmen. Außerdem könnte Kurz auf Zeit spielen. Denn die parlamentarische Sommerpause naht.

Noch haben weder FPÖ noch SPÖ endgültig entschieden, ob sie das schärfste Mittel des Parlaments ergreifen und Kurz Ihr Misstrauen aussprechen wollen.  Die FPÖ sinnt auf Rache für Kickls Rauswurf. Noch gestern erließ Kickl eine Verordnung, die 1,50 Euro als Stundenlohn für gemeinnützige Tätigkeiten von Asylbewerbern festschrieb. Dagegen hatten sich viele ÖVP-Bürgermeister gewehrt. Auch die Sozialdemokratie würde Kurz gern offiziell das Mißtrauen aussprechen. Er könnte dann nicht mehr als Kanzler am EU-Gipfel am Dienstag teilnehmen. Und vor allem wäre der Kanzlerbonus im Wahlkampf weg. Kurz müsste das Scheitern seines Projektes zugeben.

Für Expertenregierung

Nach einem wohl wenig harmonischen 30 minütigen Gespräch mit Kurz sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner schon am Montagabend, für sie komme als Übergangslösung nur eine "komplette Expertenregierung" infrage. Das heißt, auch das Amt des Kanzlers solle für eine Übergangszeit neu besetzt werden. Wenn Kurz zurücktrete, werde sich ein Misstrauensvotum erübrigen.  Die SPÖ will das Amt des Kanzlers mit einer erfahrenen Person besetzt sehen. Im Gespräch ist der 80jährige frühere Bundespräsident Heinz Fischer, SPÖ. Er schloss das zwar zunächst aus, erklärte aber, es geben etliche geeignete Personen, die in Frage kämen.

Das Verhältnis zwischen Kurz und der SPÖ ist denkbar schlecht. Das hat zunächst inhaltliche Gründe. Die türkise ÖVP vertritt eine wirtschafts- und leistungsorientierte Politik, die die SPÖ für falsch und unsozial hält. Doch Rendi-Wagner hat auch mehrfach mehr Dialogbereitschaft von Kurz eingefordert. Er hat die SPÖ dagegen in den vergangenen Monaten weitgehend ignoriert.

Für Rendi-Wagner ist die aktuelle Situation eine Bewährungsprobe in der Partei. Mit Ex - Minister Hans Peter Doskozil und Peter Kaiser, dem Kärntner Landeschef, hat sie zwei schwergewichtige Stellvertreter, die ihr an politischer Erfahrung deutlich überlegen sind. Kaiser ermahnte sie gestern, "sehr, sehr vorsichtig zu prüfen", ob ein Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung eingebracht werden solle. "Es geht das Leben auch nach einem Misstrauensantrag weiter." Das heißt, möglicherweise müsse die SPÖ nach der Wahl eine Koalition mit der ÖVP schließen. Insofern sei es nicht empfehlenswert, die Brücken abzubrechen.

Gute Taktikerin gefragt

In den vergangenen Monaten wurde Rendi Wagner heftig kritisiert, weil sie öffentlich nur wenig präsent war. Die Stärken, für die sie als Gesundheitsministerin geschätzt wurde, konnte sie kaum ausspielen. Besonders im Vergleich mit NEO -Chefin Beate Meinl-Reisinger schneidet die Quereinsteigerin schlecht ab. Deshalb muss sie ihrer Partei jetzt beweisen, dass sie eine gute Taktikerin und Wahlkämpferin ist. Notfalls auch dadurch, dass sie parteipolitische Interessen vor Staatsräson stellt.

Österreichs Verfassung bietet neben der Expertenregierung , die vom Parlament abgewählt en kann, noch eine zweite Möglichkeit des Übergangs. Der Bundespräsident kann das Parlament auf Antrag der Bundesregierung auflösen. Er muss dann dafür sorgen, dass innerhalb von hundert Tagen ein neu gewählter Nationalrat zusammen treten kann. Dieses Mittel ist noch nie genutzt worden. Es könnte jedoch sein, dass Kurz darauf hofft, dass Bundespräsident van der Bellen ihm ermöglicht, so bis zum Wahltag weiter zu regieren.  Der macht nicht den Eindruck, darauf eingehen zu wollen. Er setze auf Gesprächsbereitschaft und Dialog, sagte er gestern. Diesen soll Kurz wohl vor allem mit der SPÖ führen.

 
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