Oberstleutnant Mark Lastoria hat keine Chance. Wieder und wieder versucht der US-Soldat, 150 aufgebrachten Bürgern in Bastrop bei Austin zu erklären, dass bei ihnen kein Kriegsrecht verhängt wird. Er erntet aufgebrachten Protest: „Das sagen Sie!“, wettert ein Zuhörer unter dem Beifall des Saals. „Ich glaube kein Wort!“ Bislang konnte das US-Militär sich auf Patriotismus im Süden eigentlich verlassen, aber damit scheint es bei einem Teil der Bevölkerung vorbei zu sein: Konservative Verschwörungstheoretiker befürchten für diesen Sommer nichts weniger als eine Invasion der eigenen Regierung.
Von Juli bis September plant die US-Armee in Texas und sechs anderen Bundesstaaten ein großes Manöver unter dem Namen Jade Helm 15. Für konservative Apokalyptiker ist das ein Vorwand: Sie glauben, dass Washington – also Barack Obama – in Bälde das Kriegsrecht erklärt und Staaten wie Texas überrennt. Unter normalen Umständen wäre die These über die Kreise paranoider Obama-Gegner wohl nie hinausgelangt. Allerdings zeigen prominente Republikaner sich bei der Bekämpfung des Gerüchts sehr zurückhaltend, das verleiht ihm Plausibilität.
Gouverneur Greg Abbott etwa hat darauf verzichtet, seinen Mitbürgern zu erklären, dass Washington keineswegs eine Invasion plant. Nachdem der „Austin American Statesman“ einen Mitschnitt der Bürgerversammlung von Bastrop ins Netz gestellt hatte und ein Radiomoderator verbreitete, die Vorbereitungen für einen Militärputsch seien nicht mehr zu leugnen, beauftragte Abbott seine eigenen Truppen, das Manöver zu beobachten. Der Republikaner hat sein Amt erst im Januar angetreten; er will es sich mit dem rechten Rand nicht verderben.
Der US-Senator und Präsidentschaftskandidat Ted Cruz erklärte, er habe sich im Pentagon bestätigen lassen, dass es sich tatsächlich um ein Manöver handle. Und doch: „Da die Bundesregierung sich unter dieser Verwaltung nicht als vertrauenswürdig erwiesen hat, ist es nur natürlich, dass viele Bürger ihren Versicherungen nicht glauben.“
Jade Helm 15 ist ein Manöver für bis zu 1200 Einsatzkräfte, mit dem das US-Militär in abgelegenen Landschaften die Bekämpfung von Aufständischen üben will. 150 Jahre nach Ende des Bürgerkriegs ist das offenbar im Süden der USA ein Problem. Dazu trägt bei, dass Texas auf einer Landkarte für das Manöver als „feindliches Gebiet“ gekennzeichnet ist. Die entsprechenden Territorien hat das US-Militär rot gefärbt, eigene Areale blau – das erinnert Skeptiker einerseits an Truppen aus dem Bürgerkrieg, andererseits an die Parteifarben von Republikanern (rot) und Demokraten (blau).
Freilich verwendet das US-Militär die entsprechenden Farben auf seinen Karten schon immer. Die Darstellung der im Wesentlichen betroffenen übrigen Staaten Arizona, New Mexico, Utah und Colorado passt zu der ganzen Geschichte ebenfalls nicht. Aber davon lässt man sich im Lone-Star-State wenig beeindrucken. „Wenn Sie noch nicht von Jade Helm 15 gehört haben, wird es jetzt Zeit“, warnte der Schauspieler Chuck Norris auf der Internetseite WorldNetDaily. „Wir müssen bis zum letzten Atemzug für die Freiheit kämpfen.“ Das alles wäre absurd genug, wenn es sich bei Jade Helm um die erste Übung ihrer Art handeln würde. Tatsächlich finden solche Manöver aber regelmäßig statt, auch in Texas.