Guido Westerwelle war noch Außenminister, als der Bundestag im Dezember 2012 den Weg für einen vergleichsweise unspektakulären Auslandseinsatz frei machte. Mithilfe des sogenannten Patriot-Systems schützen rund 260 deutsche Soldaten die Türkei seitdem vor Raketenbeschuss aus dem benachbarten Syrien. Wie lange sie das noch tun, ist nach der Eskalation der Gewalt in der Türkei nun jedoch unklarer denn je. In der Koalition drängen die ersten Abgeordneten bereits auf ein Ende der Mission.
Mit ihre Offensive gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK führe die Regierung „Krieg im eigenen Land“, kritisiert der SPD-Verteidigungsexperte Karl-Heinz Brunner. So lebenswichtig der militärische Schutzschirm für die Menschen entlang der türkisch-syrischen Grenze sei, so wenig vertrage sich der kompromisslose Kurs des türkischen Präsidenten Präsident Recep Tayyip Erdogan mit den Wertvorstellungen des Westens.
Eine Verlängerung des Mandates über den aktuellen Stichtag am 31. Januar 2016 hinaus, warnt der Abgeordnete aus dem Landkreis Neu-Ulm im Gespräch mit dieser Zeitung, sei deshalb „kein Automatismus“. Die Bundeswehr sei mit ihrer Luftabwehr nicht dazu da, der Türkei im Kampf gegen die Kurden und die Terrormiliz Islamischen Staat (IS) „eine Flanke freizuhalten“. Zwar stehe Deutschland jedem Land bei, wenn es nötig sei. „Aber das ist hier nicht der Bündnisfall.“
Erdogan stelle mit seinen Attacken gegen die Kurden wieder einmal unter Beweis, dass die Türkei und Deutschland immer weniger gemeinsame Ziele verfolgten, klagt auch der CSU-Mann Florian Hahn. „Erst beteiligt er sich nicht an der Bekämpfung des IS-Terrors, um jetzt auch noch den einzig erfolgreichen Widerstand gegen den IS anzugreifen und den Friedensprozess mit den Kurden aufzukündigen.“ Angesichts dieser Entwicklung, fordert auch Hahn, müsse Deutschland den Einsatz der Patriot-Raketen nun „grundsätzlich überdenken“.
Bis dahin haben die Soldaten in Kahramanmaras, 100 Kilometer nördlich der Grenze gelegen, andere Sorgen. Da die Gefahr terroristischer Anschläge in der Türkei zugenommen hat, sind auch die Sicherheitsvorkehrungen für die dort stationierten Einheiten aus Deutschland, den Niederlanden und den USA verschärft worden. Für die Soldaten der Bundeswehr gilt faktisch eine Ausgangssperre, sie sollen die Kaserne nur noch zu dienstlichen Zwecken verlassen und auch das nur in Zivil. Außerdem will Kommandeur Michael Hogrebe die Zahl der Fahrten ins Umland reduzieren.
„Die Türkei
führt Krieg im
eigenen Land.“
Suruc, wo bei einem Anschlag der Islamisten 32 Menschen ums Leben gekommen sind, ist von Kahramanmaras nur drei Autostunden entfernt. Theoretisch könnte die Bundeswehr ihr Kontingent in der Türkei aber auch aufstocken, zum Eigenschutz sozusagen – das Mandat des Bundestages erlaubt den Einsatz von bis zu 400 Soldaten.
In den nächsten Tagen wird der politische Direktor des Auswärtigen Amtes, Hans-Dieter Lucas, zu Gesprächen mit der türkischen Regierung nach Ankara fliegen – ein Mann, der heikle Missionen gewohnt ist, er hat den Atomkompromiss mit dem Iran maßgeblich mit ausgehandelt. Von einem Kurdenstaat, wie Erdogan ihn fürchtet, hält auch die Bundesregierung nichts. Die gegenwärtige Eskalation aber, sagt eine Sprecherin des Außenministeriums, „dient im Prinzip nur den Extremisten“. Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen, die selbst türkische Vorfahren hat, warnt bereits vor einem Bürgerkrieg in der Türkei: „Es ist nicht auszuschließen, dass die PKK wieder zu den Waffen greifen wird.“
Für die Bundesregierung ist der Konflikt nicht nur wegen des Bundeswehreinsatzes heikel. Sie unterstützt die gemäßigten kurdischen Peschmerga-Milizen im Nordirak mit Waffen aus den Beständen der Bundeswehr, damit diese den IS auf Abstand halten – gleichzeitig aber muss sie verhindern, dass von dort aus Waffen zu den extremistischen Kurden der PKK gelangen.
„Wir tun alles, damit die Waffen bei uns bleiben“, hat der kurdische Peschmerga-Minister Mustafa Sajid Kadir gerade in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur versprochen – und versucht, den Deutschen wenigstens eine Sorge zu nehmen: „Wir können garantieren, dass sie nicht in falsche Hände geraten.“