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STRASSBURG
Kritik am Inzestverbot
Redaktion
 |  aktualisiert: 11.12.2019 20:22 Uhr

(rtr/dpa) Einvernehmlicher Sex zwischen engen Verwandten bleibt in Deutschland nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verboten. Der Paragraf 173 des deutschen Strafgesetzbuchs stellt den „Beischlaf zwischen Verwandten“ unter Strafe. Bestraft werden leibliche Verwandte und leibliche Geschwister, „die miteinander den Beischlaf vollziehen“. Andere sexuelle Handlungen sind nicht erfasst.

Wer mit seinem Sohn oder seiner Tochter schläft, kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden; Sex zwischen Geschwistern ist mit bis zu zwei Jahren Strafe bedroht. Es kommt auf die leibliche Verwandtschaft an. Der Verkehr mit adoptierten Kindern steht nicht unter Strafe. Minderjährige bleiben straffrei.

Die Vorschrift soll Ehe und Familie schützen. In der Rechtswissenschaft ist die Berechtigung der Vorschrift umstritten – vor allem, soweit auch die Verhinderung von Erbkrankheiten zur Begründung genannt wird.

Die Wurzeln des Inzestverbots reichen zurück bis ins Altertum – bereits im „Kodex des Hammurabi“ aus dem 18. Jahrhundert vor Christus finden sich Bestimmungen dazu. Auch die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, die als erstes allgemeines deutsches Strafgesetzbuch gilt, stellt den Inzest unter Strafe.

Nach dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871 konnte die „Blutschande“ mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft werden. Strafbar war demnach auch Sex unter Verschwägerten. 1973 wurde die Vorschrift grundlegend überarbeitet.

Das Inzestverbot ist aus Sicht eines Experten nicht mehr zeitgemäß. „Es ist deutlich überzogen, nicht mehr zeitgemäß und aus verfassungsrechtlicher Sicht unhaltbar“, sagte der Rechtsanwalt Jan Siebenhüner.

Das extrem hohe Risiko, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen, sei der Hintergrund des Inzest-Paragrafen, erklärte der Jurist. Allerdings widerspreche die Regelung dem Gesetz der Gleichbehandlung. „Dann müsste man auch Behinderten verbieten, Kinder zu bekommen.“

Ein weiteres Argument der Befürworter sei der Schutz der Familie. „Auch diese Begründung greift nicht, weil das Inzestverbot nicht alle Familienmitglieder betrifft“, erklärte der Jurist. „Unter Brüdern wäre es erlaubt und auch, wenn Geschwister Oral- oder Analverkehr haben.“ Aus Gründen der Gleichbehandlung müsse der Inzest-Paragraf entweder geändert oder gekippt werden. Das Festhalten am Inzestverbot liegt seiner Einschätzung nach an einer konservativen Denkweise. „Die früh aufgeklärten Länder wie die Beneluxstaaten und Frankreich kennen dieses Inzestverbot schon seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr“, sagte Siebenhüner. „Dort ist es nur zivilrechtlich untersagt.“

 
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