Unmittelbar vor dem Krisengipfel zur Zukunft der Bahn kommt von den Grünen im Bundestag massive Kritik am Schienenkonzept von Union und SPD. „Solange die klare Weichenstellung der Bundesregierung fehlt, wird die Bahn nicht besser", sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter dieser Zeitung. Angesichts von rund 20 Milliarden Euro Schulden bei der Bahn forderte der Verkehrsexperte kurzfristig eine Verdoppelung sowie mittelfristig die Vervierfachung der staatlichen Mittel. Hofreiter reagierte damit auf das für Dienstag geplante Treffen von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mit Bahnchef Richard Lutz und weiteren Konzernvorständen.
Bei dem Krisengipfel im Verkehrsministerium erwartet Scheuer nach Angaben eines Sprechers Antworten auf die zahlreichen Probleme bei der Bahn, die derzeit mit rund sechs Milliarden Euro pro Jahr an Steuergeldern bezuschusst wird. Konzernchef Lutz soll demnach plausibel erklären, wie er Qualität, Pünktlichkeit und Service verbessern will. Scheuer gehen unter anderem die ineffiziente Baustellenabwicklung sowie die schwache Bahn-Bilanz im Güterverkehr auf die Nerven. Es müsse sich insgesamt „spürbar etwas verbessern, und zwar zügig“, so sein Ministerium.
Lutz kämpft gegen seinen Rauswurf
Einem Bericht des Nachrichtenmagazins Spiegel zufolge kämpft Lutz bei dem Treffen mit Scheuer gar gegen seinen Rauswurf. Grünen-Fraktionschef Hofreiter machte im Gespräch mi unserer Redaktion jedoch klar, dass es mit einer Ablösung nicht getan wäre. "Wichtiger als die Personalfrage ist eine moderne Struktur des Konzerns“, sagte er und forderte Schwarz-Rot zum Handeln auf: "Die Bundesregierung darf nicht nur quengelnd am Gleis stehen - sie muss die Weichen stellen.“
Hofreiter forderte „eine Vision, wie eine neue Bahn aussehen kann“. Die Bundesregierung müsse sagen, „wohin sie mit diesem Konzern will“. Der Grünen-Fraktionschef sprach sich dabei für größtmögliche Transparenz aus. „Ziele für die Bahn müssen in der Öffentlichkeit, im Bundestag und in der Bundesregierung entwickelt und beschlossen werden“, forderte er. Daraus müsse die Regierung dann Strukturfragen ableiten und durchsetzen.
Ähnlich wie Hofreiter äußerte sich das Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene, dem als Mitglieder unter anderem die Deutsche Umwelthilfe und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer sowie als Förderer neben anderen die Deutsche Bahn AG angehören. „Deutschland investiert seit Jahren zu wenig in die Schieneninfrastruktur“, sagte Geschäftsführer Dirk Flege unserer Zeitung. Länder wie die Schweiz oder Österreich hätten ein intakteres Schienennetz und höhere Marktanteile des Bahnverkehrs. „Dazu kommt in Deutschland der Fehler, Verkehrspolitik für jedes Verkehrsmittel isoliert zu machen. Es fehlt der ganzheitliche Ansatz einer nachhaltigen Mobilitätspolitik“, kritisierte Flege.
Bahn hinkt nicht nur finanziell hinterher
Bahnchef Lutz ist seit knapp zwei Jahren im Amt, bekam die Probleme des Konzerns seitdem aber nicht in den Griff. Etwa 20 Milliarden Euro Schulden hat der Konzern aufgehäuft, immer wieder sind deshalb Anteilsverkäufe im Gespräch. Vor allem ein Verkauf der Bahn-Auslandstochter Arriva könnte Geld in die Kasse spülen. Auch ein Verkauf der weltweit operierenden Logistiktochter DB Schenker steht seit längerem zur Debatte.
Hofreiter sprach sich angesichts der finanziellen Misere für einen „Neustart bei der Bahn, also eine umfassende Modernisierung des Konzerns“ aus, damit das Geld nicht durch intransparente und ineffiziente Strukturen versickere. Außerdem müsse die Bahn das Geld, das sie in ausländische Gesellschaften und in andere Verkehrsträger gesteckt habe, „flüssig machen für neue Züge und Schienen“.
Die Bahn hinkt jedoch nicht nur finanziell hinterher. Auch bei der Zuverlässigkeit hapert es. Im vergangenen Jahr fiel der Konzern eigenen Angaben zufolge mit 93,5 Prozent bei der durchschnittlichen Pünktlichkeit aller Züge zwar nur knapp hinter das Vorjahresniveau von 94 Prozent zurück. Im Fernverkehr lag jedoch ein Viertel der Züge nicht im Fahrplan. Die „Jahrespünktlichkeit“ betrug hier 74,9 Prozent nach 78,5 Prozent im Jahr zuvor. Im Nahverkehr sank die Pünktlichkeit in 2018 auf 94 Prozent gegenüber 94,4 Prozent im Vorjahr.