Die Signale wurden zu lange übersehen. „Werden wir die Griechen des Wohnungsmarktes?“, fragte der niederländische Immobilienexperte Dirk Brounen von der Universität Tilburg schon vor zwei Jahren. Inzwischen ist die Lage in unserem Nachbarland eskaliert: Vor wenigen Wochen musste die Regierung in Den Haag den Finanzkonzern SNS Reaal verstaatlichen. 3,7 Milliarden Euro waren dafür nötig. Doch Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, zugleich Chef der Euro-Gruppe, räumte schon bald ein, es könnten auch zehn Milliarden werden.
Das Projektbüro Arcadis errechnete für alle großen Banken der Niederlande einen Gesamtbedarf von 37 Milliarden Euro. „Die Aussichten in die Finanzstabilität sind besorgniserregend“, stellte die Zentralbank des Landes fest. Ursache ist eine Immobilienblase, Ergebnis eines fast einzigartigen Kreditgebarens, das den niederländischen Haushalten Bedingungen für Darlehen einräumte, die völlig illusorisch waren.
Der sogenannte Hypothekenzinsabschlag sicherte Hauskäufern zu, die gesamten Darlehenszinsen über 30 Jahre hinweg von der Steuer absetzen zu können. Über Jahre gingen Immobilienkredite weg wie Holländer Gouda. Das böse Erwachen folgte: Nach Berechnungen von Eurostat waren die Niederländer im Jahr 2010 mit 250 Prozent ihres verfügbaren Einkommens verschuldet.
Arbeitslosigkeit steigt
Inzwischen können viele die Darlehen nicht mehr bedienen. Teuer erworbene Häuser oder Büroräume sind nahezu unverkäuflich. Inzwischen steht der Immobilienmarkt vor dem Zusammenbruch.
Mit dramatischen Folgen für die niederländische Wirtschaft und die Arbeitnehmer: Das niederländische Zentralamt für Statistik (CBS) meldete kurz vor Ostern, die Arbeitslosigkeit sei auf den höchsten Wert seit 1932 gestiegen – 7,5 Prozent sind ohne Job. Wer arbeitslos ist, kann seine Kredite nicht mehr bedienen. Und kein Geld mehr ausgeben. Das schlägt sich auf die Konjunktur nieder.
Nicht nur die Bauwirtschaft leidet, weil es ein Überangebot an Häusern, Wohnungen und Büroräumen gibt. Der private Konsum brach ein, weil die Kaufkraft geschwunden ist – allein um 3,2 Prozent im vergangenen Jahr. Schuld daran sind die Reformen der Regierung. Sie erhöhte die Mehrwertsteuer auf 21 Prozent und hob die Abgaben auf Tabak, Wein und Bier an. Zudem muss jeder Niederländer ein eigenes Risiko von 350 Euro im Jahr tragen, wenn er einen Arzt aufsucht.
Ministerpräsident Mark Rutte hatte vor der Wahl 2012 Eingriffe in die milliardenschwere Steuersubventionierung der Kredite ausgeschlossen. In der Koalition mit den Sozialdemokraten aber musste er sich bewegen. Die Absetzbarkeit von Kreditzinsen wird schrittweise zurückgefahren. Tilgungsfreie Hypothekendarlehen sind bereits 2011 ausgelaufen.