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GLATTBACH
Krippen aus aller Welt im unterfränkischen Glattbach
Krippen aus aller Welt Im unterfränkischen Glattbach steht ein Krippenmuseum, das Besucher auch von weit her anlockt. Kein Wunder, es umfasst eine einmalige Sammlung aus fünf Kontinenten.
Melanie Jäger
Melanie Jäger
 |  aktualisiert: 28.12.2015 03:45 Uhr

Da liegt es, das Kindlein, und es liegt beileibe nicht immer auf Heu und auf Stroh. Mal strampeln die Beinchen auf gelber Seide aus China, mal auf einem Fell vor einem Iglu, auf Filz, auf Bambus, auf zarter Spitze aus dem 18. Jahrhundert oder auf nacktem Holz. Doch dem Jesuskind geht es überall auf der Welt sichtbar gut. Ob in der Rhön oder in Prichsenstadt, ob in Afrika oder Peru. Es darf mit nacktem Popo auf dem Schoß seiner Mama liegen oder wird liebevoll im Arm gehalten. Dabei ist es egal, ob Maria und Josef aus Holz, aus Papier, aus Wachs, aus Elfenbein oder einer alten Schaufel sind. Es sind landestypische Szenen der Geburt Jesu mit einer unglaublichen Vielfalt an Material, ein Querschnitt aus vielen Jahrzehnten.

Neben der wertvollen Pracht aus dem 18. Jahrhundert findet man die neuesten Trends aus Filz oder buntem Glas, nicht immer frei von Kitsch, aber immer einzigartig. Ob winzige Krippen in einer Walnussschale oder eine zwei Meter hohe Baumkrippe – bei dieser Krippen-Reise um die Welt gibt es nichts, das es nicht gibt. Schnell wird klar: Hier ist jemand mit Sammelleidenschaft am Werk. Ein Wahnsinniger, mag man beim Rundgang durch das schmucke Fachwerkhäuschen neben der Kirche in der Ortsmitte des Dorfes manchmal denken.

Krippen Unterfranken       -  Museumsleiter Jürgen Stenger: Der Krippen-Guru aus Unterfranken setzt die Figuren handwerklich wie künstlerisch meisterhaft in Szene.
Foto: Jäger (MPZ) | Museumsleiter Jürgen Stenger: Der Krippen-Guru aus Unterfranken setzt die Figuren handwerklich wie künstlerisch meisterhaft in Szene.

Denn wer so viel Zeit, so viele Gedanken, so viel Liebe und Stunden in den Erwerb, Aufbau und die Pflege von Weihnachtskrippen steckt, der muss auch ein bisschen verrückt sein. Jürgen Stenger (63), der Mann der Stunde, der Macher dieses Museums, lacht. „Es gibt schon eine Art Krippenvirus, der einen befallen kann, den man auch nicht mehr loswird, der einen durchdringt und antreibt, der einen süchtig macht.“ Wie viele Stunden er schon im Glattbacher Museum und im benachbarten alten Feuerwehrhaus verbracht hat, wo er die gigantische wie bekannte Iglauer Krippe nach deren Zeit im Bamberger Dommuseum als Dauerleihgabe ergattert und mit fleißigen Helfern in Hunderten Stunden aufgebaut hat, vermag er nicht zu sagen. Es sind zu viele, um sie zu zählen.

Rund 1500 Krippen gibt es mittlerweile im Fundus des Museums. Und jedes Jahr findet Jürgen Stenger einen Weg, um seine Ausstellung immer wieder aufs Neue attraktiv zu machen. „Ich kann ja aus dem Vollen schöpfen“, sagt er. Angefangen hat die Geschichte des Museums 1988. Damals war Jürgen Lenssen, heute Domkapitular und Kunstreferent der Diözese Würzburg, noch Pfarrer in Glattbach. Auch er war vom Krippenfieber erfasst, seine private Sammlung gilt von jeher als legendär, wurde schon so manches Mal verliehen und ehrfürchtig bestaunt.

Krippen Unterfranken       -  Eskimokrippe: Die Figuren entstanden in der Holzwerkstatt Klaus-Dieter Kaiser in Aschaffenburg, das Bühnenbild hat Jürgen Stenger entworfen.
Foto: Jäger (MPZ) | Eskimokrippe: Die Figuren entstanden in der Holzwerkstatt Klaus-Dieter Kaiser in Aschaffenburg, das Bühnenbild hat Jürgen Stenger entworfen.

Diese private Sammlung hat Lenssen bei seinem Abschied der Gemeinde Glattbach vermacht. Sein Wunsch: Die Krippen sollten nicht unbeachtet in Kartons lagern, sondern einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein. Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen.

Dass das Glattbacher Museum mittlerweile weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt ist und sich jüngst Gäste aus Amerika für eine Führung anmeldeten, das dürfte in erster Linie das Verdienst von Jürgen Stenger sein, für den die Leitung des Krippenmuseums nicht irgendein Job ist, sondern Passion. Lebensinhalt. Trost und Halt. Denn Stengers Frau Leni, die diese Leidenschaft ohne Wenn und Aber geteilt hat, ist im vergangenen Jahr tödlich verunglückt. Von einer Treppe im Wohnhaus gestürzt und so unglücklich gefallen, dass jede Hilfe für die 60-Jährige zu spät kam. Dass sie gerade etwas für das Museum erledigen wollte, passt zu diesem Leben, dem sich Stenger verschrieben hat und das er nun im Sinne seiner Frau genauso weiterführen möchte. Nach Krippen Ausschau halten, überall auf der Welt. Keine Reise, auf der nicht jeder Winkel, jeder Ort durchforstet wird nach neuen, nach exklusiven Stücken fürs Museum.
 

Krippen Unterfranken       -  Krippe aus Papua-Neuguinea: Sie vervollständigt die Krippenausstellung um den fünften Kontinent Australien, der Jürgen Stenger im Museum noch gefehlt hat.
Foto: Jäger (MPZ) | Krippe aus Papua-Neuguinea: Sie vervollständigt die Krippenausstellung um den fünften Kontinent Australien, der Jürgen Stenger im Museum noch gefehlt hat.

Jede Reise der Stengers stand in den vergangenen Jahren unter dem Stern von Bethlehem. Hartnäckigkeit, Durchhaltevermögen, Offenheit, Verhandlungsgeschick und vor allem Geduld braucht es da. „Man muss warten können auf das, was man sich wünscht“, sagt Jürgen Stenger und lächelt. Und dann geht er voran zum Highlight der Sammlung, zu seinem persönlichen Liebling. Zu der Krippe, deren Existenz ihn glücklich macht. Weil sie das vervollständigt, was Stenger seit so langer Zeit sucht und wofür er kämpft. Eine Ausstellung mit Krippen aus fünf Kontinenten. Einer dieser Kontinente hat bislang gefehlt: Australien.

„Es war ein Ding der Unmöglichkeit, aus diesem Kontinent eine Krippe zu bekommen. Und es haben viele Bekannte und Freunde auch aus Glattbach stets mitgeholfen auf dieser Suche. Ob im Internet oder vor Ort: „Ich bekam oft Anrufe, 'Wir sind hier und haben eine Krippe entdeckt. Wäre das was?'.“

Krippen Unterfranken       -  Aus Vietnam: Maria trägt Jesus im Arm und schaut liebevoll zu Josef. Im Hintergrund lächelt ein Engel – Recycling-Kunst aus Zeitungspapier.
Foto: Jäger (MPZ) | Aus Vietnam: Maria trägt Jesus im Arm und schaut liebevoll zu Josef. Im Hintergrund lächelt ein Engel – Recycling-Kunst aus Zeitungspapier.

Aber immer war es keine Originalkrippe, immer stand 'Made in China' darauf. „Das hat mir nichts genützt“, erzählt Stenger. Und dann kam der Anruf eines Bekannten, dessen Tochter in Papua-Neuguinea, jener Insel, die zu Australien gehört, mit einem Bewohner dort verheiratet ist. Sie war es, die dem einheimischen Kunsthandwerker Steve aus dem Dorf Kurum Bilder vorlegte und vom christlichen Glauben erzählte.

„Steve kann nicht lesen und nicht schreiben, die Weihnachtsszene schnitzte er hauptsächlich nach diesen Vorlagen“, erklärt Stenger. Es sind große Figuren aus Treibholz und sie sind nach der vorherrschenden Formensprache der Maori, einem polynesischen Urvolk, geschnitzt. Dass Maria in dieser 14-teiligen Darstellung barbusig vor der Krippe hockt, ist die natürlichste Sache der Welt. Doch auch und gerade mit den natürlichsten Sachen der Welt tun sich Christen hierzulande zuweilen schwer. Und so sorgt die von Jürgen Stenger mit einer australischen Urwald-Fototapete und Palmblättern in Szene gesetzte Krippe immer wieder für empörte Kommentare. „Die Maria hat ja nackte Brüste! Das ist eine Unverschämtheit“, habe eine Besucherin gesagt, berichtet der Museumsleiter.

Krippen Unterfranken       -  Aus China: Fernöstliche Darstellung der Geburt Christi – die Figuren sind in farbenprächtige Seidenstoffe gehüllt.
Foto: Jäger (MPZ) | Aus China: Fernöstliche Darstellung der Geburt Christi – die Figuren sind in farbenprächtige Seidenstoffe gehüllt.

Dabei macht genau diese Vielfalt aus allen Teilen der Erde und die Natürlichkeit in der Darstellung der einzelnen Völker die Ausstellung in Glattbach aus.

Natürlich sind da die großen Namen, die für Wertigkeit, für Kunst aus vergangenen Epochen stehen, Leihgaben, für die allein sich ein Besuch im Museum lohnt. Wie etwa vom großen deutschen Bildhauer und Mitbegründer der Dresdner Bildhauerschule, Ernst Rietschel. Die Krippe von ihm ist ein limitierter Gipsabdruck einer seiner Entwürfe, herausgegeben zum 200. Geburtstag des Künstlers im Jahr 2004. Doch auch die in Klöstern im 17. und 18. Jahrhundert entstandenen Krippen und Fatschenkinder, Puppen, die wie Mumien in wertvolle Spitzenstoffe eingeschnürt wurden, lassen einen innehalten und staunen.

Aber es sind eben auch die extravaganten und modernen, ja verwegenen Darstellungen, die in Glattbach faszinieren. Etwa die vom italienischen Künstler Ciro, jenem Roberto Cipollone, der normalerweise in Paris, Florenz und Mailand ausstellt und der dem Museum nicht nur eine Krippe hinterließ, sondern in Glattbach gleich persönlich vorbeischaute. In seiner Krippendarstellung ist Josef ein alter Metallspaten, neben ihm ragt Maria als abgerundete Schaufel empor und der Schraubschlüssel in ihrem Arm ist das Jesuskind.

Krippen Unterfranken       -  Aus Afrika: Den Krippen aus Afrika hat Jürgen Stenger im Glattbacher Museum einen ganzen Raum gewidmet.
Foto: Jäger (MPZ) | Aus Afrika: Den Krippen aus Afrika hat Jürgen Stenger im Glattbacher Museum einen ganzen Raum gewidmet.

Hinter der Familie breitet ein Engel seine Metallflügel aus. „Evento“, das Ereignis, nennt Ciro die Szene. Jürgen Stenger findet das richtige Wort für diese Kunst aus dem modernen Italien: „Einmalig.“ Überhaupt, Italien! Ursprungsland der Weihnachtskrippe. Il Presepe – seit Jahrhunderten ist sie das wichtigste Attribut der Weihnachtszeit dort.

Franz von Assisi hat die Krippe 1223 erfunden, um den einfachen Menschen in seiner Heimat die Weihnachtsgeschichte möglichst anschaulich erzählen zu können. In einer Höhle in Umbrien baute er deshalb eine Futterkrippe und legte ein geschnitztes Jesuskind hinein. Erzählungen zufolge brachte er auch noch einen Ochsen und einen Esel mit in die Höhle. Maria und Josef, Könige und Hirten wurden spontan aus der umstehenden Menschenmenge ausgewählt. Die war so tief beeindruckt, dass Franz von Assisi beim Papst die Erlaubnis einholte, das Krippenspiel jedes Jahr zu machen. Und so geschah es. Krippenspiele waren bis ins 16. Jahrhundert ausschließlich Klöstern und Kirchen vorbehalten, nach und nach kamen zu den lebendigen Darstellern auch Figuren aus verschiedenen Materialien hinzu. Sie wurden in adeligen Palästen bald zur Tradition. Erst im 18. Jahrhundert hielten Weihnachtskrippen Einzug in die Häuser einfacher Menschen.

Krippen Unterfranken       -  Aus Italien: Künstlerin Angela Tripi hat diese Figuren für das Krippenmuseum im unterfränkischen Glattbach bei Aschaffenburg hergestellt, wo Krippen aus aller Welt zu bestaunen sind.
Foto: Melanie Jäger | Aus Italien: Künstlerin Angela Tripi hat diese Figuren für das Krippenmuseum im unterfränkischen Glattbach bei Aschaffenburg hergestellt, wo Krippen aus aller Welt zu bestaunen sind.

Ein Spektakel der besonderen Art können Besucher aktuell im italienischen Corciano erleben, wo sich die gesamte Stadt Jahr für Jahr in eine lebendige Krippenlandschaft verwandelt und Menschen als Hirten und Engel verkleidet umherlaufen. Die Weihnachtsgeschichte ist tagelang zum Greifen nah. Auch die ligurische Bergregion Cinque Terre lockt mit einer Besonderheit. Im Dorf Manarola findet man schon im Herbst auf einem der großen Weinberge an der Küste riesige Holzfiguren, die mit einer ausgeklügelten Lichtinstallation dann an Weihnachten in Szene gesetzt werden. Der ganze Hügel über dem Meer wird zu einer gigantischen, funkelnden Krippenlandschaft. Bis heute wetteifern die Italiener gerne, wer die größte Krippe hat, schließlich ist Italien die Wiege der Krippe. Jedenfalls der Legende nach.

Der zufolge soll im Jahr 360 nach Christus die echte Krippe aus Bethlehem nach Rom gebracht worden sein. An der Stelle, an der sie aufgebaut wurde, errichteten die Römer die Kirche Santa Maria Maggiore. Für Wallfahrer hat diese berühmte Krippe in der uralten Kirche hoch über den Dächern der Stadt nach wie vor eine magische Anziehungskraft. Doch wie im Krippenmuseum im unterfränkischen Glattbach geht man auch in Italien mit dem Zeitgeist.

In Neapel etwa stellen Traditionswerkstätten jedes Jahr ihre neusten Krippen-Ideen aus; und da finden sich zwischen traditionsreichen Figuren durchaus auch die Gesichter Prominenter aus aller Welt.

Auch das Glattbacher Museum verfügt über zahlreiche Stücke aus Italien, hat unter anderem Figuren von der Künstlerin Angela Tripi erworben. Jürgen Stenger hat die Kunstwerke mit einem meisterhaft gestalteten Bühnenbild lebendig in Szene gesetzt. Stenger hat ein Auge für so etwas. Aber auch eine Art siebten Sinn, wenn es um das Aufspüren von Weihnachtskrippen geht. In Ägypten hat er Holzfiguren koptischer Christen erstanden. Und nach langem Suchen eine Krippen-Darstellung auf Papyrus.

Hinter den Krippen im Museum verbergen sich so manche Anekdoten. In der Vitrine mit den peruanischen Figuren etwa ist jüngst der Josef umgefallen. Beim Öffnen der Scheibe flogen Stenger Motten entgegen. „Ich habe lange gesucht. Maria trägt wegen der Kälte in den Bergen traditionell drei Röcke übereinander. Unter dem dritten Rock wurde ich fündig, halt dort, wo es ganz warm ist“, sagt Stenger laut lachend. Wohlwissend, dass auch die natürlichsten Dinge der Welt zuweilen etwas despektierlich klingen können. „Aber da muss man durch“, meint der Krippen-Museumsleiter augenzwinkernd.

Das Krippenmuseum in Glattbach

Das Krippenmuseum in Glattbach befindet sich in der Hauptstraße 114 und verfügt mit rund 1500 Krippen aus 90 Ländern nicht nur über eine der umfangreichsten Krippensammlungen Bayerns, sondern ist auch dauerhafte Bleibe der bekannten Iglauer Weihnachtskrippe, einer Krippenlandschaft von 1890 aus dem ehemaligen Böhmen mit über 450 Figuren. Das wohl einzigartige Ensemble religiöser Volkskunst ist in monatelanger Arbeit von Jürgen Stenger und einem Helferteam im wenige Meter entfernten Alten Feuerwehrhaus aufgebaut worden. Die Krippe ist sechs Meter lang und 1,30 Meter hoch.

Öffnungszeiten: Jeweils donnerstags bis sonntags sowie an Feiertagen von 14 bis 18 Uhr (24. und 31. Januar geschlossen). Vom 7. bis 31. Januar 2016 ist das Museum nur sonntags von 14 bis 18 Uhr geöffnet, letzter Einlass ist jeweils 20 Minuten vor Schließung.

Terminvereinbarungen für Führungen unter Tel. (06 021) 48 272 oder (06 021) 34 910.

 
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