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WÜRZBURG/SCHWEINFURT
Korruption kostet 250 Milliarden
Von unserem Redaktionsmitglied Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 16.03.2012 19:42 Uhr

Bestechung und Vorteilsannahme fügen der deutschen Wirtschaft im laufenden Jahr voraussichtlich einen Schaden von 250 Milliarden Euro zu. Dies fand der Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Schneider (Universität Linz) heraus. Seine Studie zum Stand der Korruption sorgte am Freitag für Aufsehen, nachdem die Tageszeitung „Welt“ Details bekannt gemacht hatte.

Der finanzielle Schaden, den Korruption in einer Volkswirtschaft anrichtet, besteht vor allem darin, dass durch Bestechung bei der Vergabe von Aufträgen nicht der Anbieter zum Zuge kommt, der das beste Angebot macht. Das führt zu geringeren Ausgaben für diese Investitionsprojekte, dadurch wird das Wirtschaftswachstum gehemmt.

Die (Un-)Kultur des Schmierens führt auch nach Unterfranken. Der Korruptionsexperte Uwe Dolata aus Würzburg erinnert an den Fall, der international für Aufsehen sorgte: Aus dem Reaktorunglück von Tschernobyl wollte ein Mitarbeiter des Kernenergiedienstleisters Nukem aus Alzenau Kapital schlagen. Insgeheim filmte eine Kamera, wie er versuchte, den Kraftwerksdirektor zu „schmieren“. Damit wollte man 15 bis 20 Millionen Euro von der EU für Entsorgungsarbeiten ergattern. Der Film zeigte, wie der Direktor nach seinem Anteil fragt – und 500 000 Euro versprochen bekommt. Beispiele gibt es viele, vom Kassierer der Kommune (der in die eigene Tasche wirtschaftete) bis zum Kinderwunschmediziner, der bei Abrechnungen betrog – und einen Mitarbeiter der kontrollierenden Kassenärztlichen Vereinigung bestach.

Ein Rechtsanwalt aus dem Landkreis Würzburg bestach einen Zöllner an der Grenze, damit während seiner Schicht geschmuggelte Zigaretten die Grenze passieren konnten. Ein früherer Einkäufer des Bezirks verlangte Schutzgeld von Firmen dafür, dass sie Waren an Krankenhäuser liefern durften – von den Brötchen bis zum Klopapier.

An der Universität keimte vor kurzem wieder der Verdacht, dass ein Professor gegen Bezahlung Doktortitel verschacherte. Und vor kurzem flog ein Mitarbeiter des Landratsamtes auf: Er soll in der Zulassungsstelle Autohändlern gefällig gewesen sein.

Dabei werden die meisten Fälle gar nicht bekannt, weiß Dolata, vielfach fehle jedes Unrechtsbewusstsein. „Das hat gerade wieder der Fall Wulff gezeigt“, sagt er. „Viele hielten es für ganz normal, dass Staatsdiener auf Kosten von Unternehmern Urlaub machen oder Geschenke bekommen.“ Viele Firmen würden korrupte Mitarbeiter nicht anzeigen – aus Furcht vor dem Imageschaden, oder weil sie ihre Bücher offenbaren müssten. Laut dem letzten veröffentlichten Korruptionsindex steht Deutschland auf Rang 14 der am wenigsten korrupten Staaten weltweit. In Großbritannien, den USA und Frankreich gibt es demnach deutlich mehr Korruption als in Deutschland.

Bisher gingen Ökonomen von der Annahme aus, Beamte und Mitarbeiter von Firmen seien empfänglicher für Bestechung, wenn es der Wirtschaft schlecht geht. Doch nun boomt sie, aber der Schaden durch Korruption in Deutschland liegt laut der Linzer Studie deutlich höher als vor sieben Jahren (220 Milliarden). Laut Professor Schneider spielt die „zunehmende Verlotterung der Sitten eine Rolle“. Um Korruption einzudämmen, gebe es zwei Varianten: Eine strengere Verfolgung und Bestrafung oder eine bessere Bezahlung für Beamte – wobei sich beides nicht gegenseitig ausschließe.

An vielen Hochschulen ist das Thema Korruption dennoch eine Randerscheinung. Anders die Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt, an der Dolata seit acht Jahren als Gastdozent lehrt: Unternehmensethik ist heute Pflichtfach für BWL-Studenten. Als Wahlpflichtfach können künftige Manager Anti-Korruptionsstrategien lernen. In Projektarbeiten zum Thema „Compliance“ nehmen Dolatas Studenten Unternehmen und Behörden unter die Lupe, um herauszufinden, wie gut diese vor Korruption geschützt sind: S. Oliver beteiligte sich daran ebenso wie die Medizintechnik-Firma Noras aus Höchberg, das Landratsamt Würzburg und die Würzburger Verkehrs und Versorgungsbetriebe (WVV).

Die korruptesten Länder

Somalia und Nordkorea sind nach Erkenntnissen von Transparency International die korruptesten Länder einer Liste, die 183 Staaten enthält. In Neuseeland geht es demnach am wenigsten korrupt zu. Die EU-Länder Finnland und Dänemark sind dem Spitzenreiter dicht auf den Fersen. Deutschland erreicht mit Japan Rang 14., die USA Platz 24, Russland ist auf dem 143. Rang. Unter den EU-Ländern rangieren jene Staaten am unteren Ende, die wegen Fehlschlägen im Kampf gegen Korruption und Steuerhinterziehung von der Schuldenkrise hart getroffen wurden. Italien und Griechenland nehmen die Plätze 69 und 80 ein. Text: MAS

 
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