
Wenn in der internationalen Diplomatie wichtige Gipfeltreffen vorbereitet werden, kann das Monate dauern. Experten, Diplomaten und Politiker erstellen Papiere, führen Gespräche und arbeiten Zielvorgaben aus. Nicht so bei Donald Trump. Der US-Präsident erfuhr am Donnerstagabend, dass Südkoreas Sondergesandter Chung Eui Yong im Weißen Haus war und ließ diesen sofort im Oval Office antreten. Als der Gesandte Chung dann vom Wunsch des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un berichtete, Trump zu treffen, sagte der Präsident auf der Stelle zu. Trumps Berater seien genauso überrascht gewesen wie Chung, berichteten US-Medien.
Der Gipfel Trump-Kim bringt zwei Männer zusammen, die als unberechenbar, risikobereit und auch rücksichtslos gelten. Die persönliche Dynamik zwischen den beiden Politikern könnte zu neuem Schwung bei Bemühungen um eine Lösung des mehr als 70 Jahre alten Koreakonfliktes führen. Das Treffen könnte aber auch die Kriegsgefahr erhöhen, wenn der Gipfel mit einer Enttäuschung und ohne neue Lösungsansätze endet. Trumps Einwilligung zu einem Treffen mit Kim bis spätestens Ende Mai ist ein erneuter Ausdruck seines ungewöhnlichen politischen Stils. Der 71-Jährige setzt sich gerne über politische Traditionen hinweg. Er sieht sich als unideologischen „Dealmaker“, der mal droht, mal schmeichelt und frühere Positionen über den Haufen wirft, wenn er es für nötig hält. All das sind aber auch Risiken im hochsensiblen diplomatischen Geschäft vorsichtiger Abwägungen.
Erst nach seiner Zusage an Kim informierte Trump seinen wichtigsten Partner in Asien, den japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe. Wie es heißt, habe dabei allerdings zuerst Premier Abe Trump in Washington angerufen, um den US-Präsidenten an die bisher geltenden Absprachen unter den Bündnispartnern zu erinnern. Japan ist skeptisch und hält Trumps Zusage für überhastet. Denn eigentlich war abgemacht, dass der Norden mit Abrüstung in Vorleistung gehen muss, bevor ein direkter Dialog infrage kommt. Jetzt dreht Trump das um und versetzt Tokio in Aufregung. „Wir bestehen darauf, dass Nordkorea zuerst substanzielle Schritte in Richtung einer Denuklearisierung geht, damit so ein Gespräch Sinn hat“, betonte Verteidigungsminister Itsunori Onodera in Tokio. Japan hält Trumps Zusage für überhastet und wünscht sich eine härtere Linie gegen Nordkorea. Das schnelle Einknicken Trumps ist der Regierung in Tokio unheimlich, denn anders als die USA fürchtet Japan Nordkorea nicht nur als Atommacht, denn Kim könnte Japan jederzeit konventionell mit Mittelstreckenraketen und Nervengas angreifen.
Auch US-Verteidigungsminister James Mattis wurde von der Nachricht des bevorstehenden Gipfels überrascht. Die „New York Times“ meldete unter Berufung auf Regierungskreise, Washington habe kein ausgearbeitetes Konzept für die Kontakte mit Nordkorea. Dabei ist Kims Strategie offensichtlich: Er will Anerkennung seines Landes auf der internationalen Bühne. Anders als Trump hatte Kim seine Offerte sorgfältig vorbereitet, unter anderem durch seine Friedensouvertüren während der Olympischen Winterspiele in Südkorea. Mit Trumps Ja zu einem persönlichen Treffen hat Kim einen wichtigen Erfolg errungen: Er ist der erste Chef des Kim-Clans, der Nordkorea zu einer solchen Weltgeltung verhilft. Das weitgehend isolierte Nordkorea steht plötzlich im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Weder seinem Vater Kim Jong Il noch seinem Großvater, dem nordkoreanischen Staatsgründer Kim Il Sung, war das je gelungen. Diese hatten nur mit Ex-US-Präsidenten zu tun: So traf Bill Clinton 2009 Kims Vater, um über die Freilassung inhaftierter Amerikaner zu verhandeln. Für den damaligen Präsidenten Barack Obama kam nicht einmal ein Telefonat mit Kim infrage. Zuvor hatte 1994 Jimmy Carter den Großvater des derzeit regierenden Kim besucht. Erfahrene Außenpolitiker hätten Trump deshalb empfohlen, den nordkoreanischen Machthaber erst dann zu treffen, wenn Nordkorea wichtige Zugeständnisse in der Frage seines Atomprogramms gemacht hat. Trump ist dagegen überzeugt, dass er mit Kim einen Deal aushandeln kann, auch wenn er sein Gegenüber als nicht zurechnungsfähigen „kleinen Raketenmann“ betitelt hat. Der 36-jährige Kim nannte Trump einen „verrückten Tattergreis“.
Im vergangenen Jahr hatte Trump den Nordkoreanern noch mit „Feuer und Zorn“ gedroht. Seine Regierung arbeitete zuletzt an Plänen für einen begrenzten Militärschlag gegen das Kim-Regime. Der Präsident bezeichnete Verhandlungen mit Nordkorea als Zeitverschwendung – all das ist jetzt Gerede von gestern. Auch Kim hat eine beachtliche Kehrtwende hingelegt. Vor kurzem drohte sein Regime noch mit Raketenangriffen auf die amerikanische Insel Guam im Pazifik und mit einer Atomattacke auf Washington selbst. Mehrere Raketentests demonstrierten angebliche technische Fortschritte der Nordkoreaner. Jetzt zieht Kim plötzlich die atomare Abrüstung in Betracht. Allerdings zeigen auch die mehrfach verschärften Wirtschaftssanktionen gegen Nordkorea immer mehr Wirkung.
Experten werten das geplante Gipfeltreffen als Chance für einen Durchbruch im Koreakonflikt. Zugleich warnen sie Trump aber davor, von Nordkorea sofortige und umfassende Zugeständnisse zu erwarten. Auch Trump selber hatte in den vergangenen Monaten immer wieder betont, dass er Gespräche mit Nordkorea deshalb ablehne, weil dies Pjöngjang mehr Zeit zur Vollendung des Atomprogramms geb. Doch genau das könnte Kims Taktik sein. Evan Medeiros, ein Asien-Experte in der Regierung von Trumps Vorgänger Barack Obama, sagte der „New York Times“, Kim werde „niemals“ seine Atomwaffen aufgeben. Der nordkoreanische Machthaber führe sowohl die südkoreanische Regierung als auch Trump an der Nase herum.