Kommentar
Die Bundesregierung irrlichtert weiter durch den dichten Qualm des Diesel-Desasters. Und der neueste Versuch von Kanzlerin Angela Merkel, verlorenes Vertrauen in die Politik wieder herzustellen, droht nach hinten loszugehen. Fahrverbote vermeiden, indem einfach die Abgasgrenzwerte nicht mehr ganz so streng ausgelegt werden? Genau darum geht es nämlich bei der Idee, die Verhältnismäßigkeit des Innenstadt-Banns für ältere Diesel-Autos in vielen Fällen gesetzlich neu zu bewerten. So wird Glaubwürdigkeit beschädigt. Der Vorstoß zielt allzu deutlich auf die Wähler in Hessen, die am Sonntag über ihre künftige Landesregierung abstimmen.
Hundertausenden Autofahrern rund um die Hessen-Metropole-Frankfurt stehen Fahrverbote unmittelbar bevor. Sie sind völlig zurecht sauer auf die Politik, die den Autoherstellern, den Schuldigen an der Diesel-Affäre, schon viel zu viel hat durchgehen lassen. So droht CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier eine Schlappe, die auch die CDU-Chefin und Bundeskanzlerin ins Wanken bringen kann. Doch die Ankündigung, drohende Fahrverbote in Frankfurt und andernorts durch eine Gesetzesänderung in letzter Minute noch irgendwie zu kippen, wirkt verzweifelt und konfus. Und nach Lage der Dinge steht der Idee geltendes europäisches Recht entgegen.
Abgas-Grenzwerte kommen ja nicht aus heiterem Himmel. Die EU hat sie mit deutscher Beteiligung beschlossen, weil sie sie für notwendig hält, um die Gesundheit der Bürger zu schützen. Und das aus gutem Grund: Stickoxid kann Augen und Atemwege reizen, zu Herz-Kreislauferkrankungen führen oder die Lungenfunktion stören. Betroffen sind übrigens, das wird in der Diskussion allzu oft vergessen, in ganz besonderem Maße auch die Autofahrer selbst, Pendler die im Stau stehen und die Abgase ihrer Autos einatmen. Die Interessen von Dieselfahrern gegen den Schutzanspruch von Innenstadt-Bewohnern auszuspielen, das wird also nicht funktionieren. Runde drei Jahre hätte die Bundesregierung Zeit gehabt, das Diesel-Problem für Umwelt, Anwohner und Autofahrer gleichermaßen nachhaltig zu lösen, und zwar ohne gleich die Autoindustrie in den Ruin zu treiben. Jetzt, ein paar Tage vor der wichtigen Hessen-Wahl, soll es auf einmal so einfach sein? Da hätten sich Politik und Autoindustrie ihre ganzen Diesel-Gipfel doch sparen können.
Bernhard Junginger
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