Eigentlich wollte sich die Nato selbst feiern. 70 Jahre ist das Militärbündnis alt. Doch trotz der gemeinsamen Geschichte ist von Harmonie wenig zu spüren. Die Unstimmigkeiten und der Streit um Geld und Ausrichtung bestimmen den Ton. Wenn sich nun am Ende dieses Gipfels alle zufrieden auf die Schulter klopfen angesichts zweier Tage ohne echte Eklats, dann zeugt die zur Schau gestellte, angestrengte Einheit vor allem von Scheinheiligkeit. Denn die Probleme bleiben nach diesem Zusammentreffen dieselben.
Die scharfen Worte von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mögen als jüngster Aufreger gedient haben. Für echte Aufregung sollte dagegen eher sorgen, dass einige Regierungschefs mit Gegenangriffen antworteten, anstatt sich im Detail mit der Kritik von Macron auseinanderzusetzen und konkrete Vorschläge für Kompromisslösungen zu liefern. Der Franzose hat nämlich im Prinzip recht, auch wenn er mit seiner „Hirntod“-Diagnose begrifflich überzogen hat. Gesund stellt sich das Bündnis keineswegs dar.
Der Nato fehlt politisches Gewicht
Die Diskussion um mehr europäische Eigenständigkeit in Sicherheitsfragen schwelt seit Jahren. Es war längst überfällig, dass jemand in aller Deutlichkeit die Realität beschreibt. Nur so können Fortschritte erzwungen werden, die angesichts der Struktur der Allianz ohnehin nur schleppend erreicht werden können.
Die Nato muss endlich eine Strategie entwickeln. Ihr fehlt politisches Gewicht. Das war so lange unbedeutend, wie die Allianz vor allem reagieren musste. Mittlerweile aber stellt sich die Lage komplizierter dar. Die Nato steckt in der Krise, ein Ausweg ist nicht in Sicht. Zu weit gehen die Interessen der Mitglieder auseinander. Sicherheits- und Rüstungspolitik werden noch immer national gedacht. Und wenn der Terrorismus als größter Feind der Nato bewertet wird, sollte es innerhalb des Bündnisses auch eine gemeinsame Definition von Terrorismus geben. Es ist ein Dilemma, dass die Nato zwar ihre Gegner definieren kann. Es mangelt dem Bündnis aber an einem Instrument, um problembehaftete Beziehungen zu Ländern wie China oder Russland eigenständig zu verbessern. Um mit ihnen auf Entspannung hinzuarbeiten, gibt es kein Nato-Mandat. Die Allianz ist vielmehr machtlos der Diplomatie ihrer Mitglieder ausgeliefert. Sie kann nur aushalten, aber nicht handeln. Das macht die Nato zum Spielball einzelner Player, die keine gemeinsame Linie verfolgen.
Washington ist kein verlässlicher Partner mehr
Macron hat erkannt und ausgesprochen, was Deutschland oder auch Großbritannien nicht sehen wollen: Washington ist kein verlässlicher Partner mehr. Das hat unter anderem der nicht abgesprochene Rückzug aus Nordsyrien gezeigt. Staaten agieren autonom und ohne Abstimmung mit den Nato-Partnern. Ordnungspolitische Entscheidungen werden in dem Bündnis nicht getroffen. Umso mehr muss Europa eine Lösung finden, wie es das Vakuum füllen kann, das durch diese Entwicklungen entsteht.
US-Präsident Donald Trump ist keine kurze Episode, sondern spiegelt den fundamentalen Wandel dafür wider, wie die USA mittlerweile die Welt betrachten. Darauf zu warten, dass der Republikaner abgewählt wird, ist naiv und fahrlässig dazu. Auch mit einem anderen US-Präsidenten wird es kein Zurück geben zur Vor-Trump-Ära: Die USA ziehen sich zunehmend aus der Verantwortung zurück. Sich weiter darauf zu verlassen, dass die Amerikaner den Sicherheitsschirm über Europa spannen, ist gefährlich. Natürlich brauchen die beiden Seiten einander. Trotzdem muss in den Hauptstädten von Berlin bis London ein Umdenken stattfinden.