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BERLIN
Kommentar: Deutschland büßt seine Abwehrkräfte ein
Von Stefan Stahl red.politik@mainpost.de
 |  aktualisiert: 17.04.2019 02:13 Uhr

Deutschland war jahrelang ein vitaler wirtschaftlicher Trotzkopf. Die Abwehrkräfte gegen alle internationalen Infektionsherde waren verblüffend groß. Unsere Volkswirtschaft glich einem gut durchtrainierten Langstreckenläufer. Solche Typen sind zwar unter Wirtschafts-Athleten mit schwächerer Kondition wie Frankreich und Italien nicht beliebt; aber alle Sticheleien über unsere kraftstrotzenden Außenhandelsüberschüsse wurden angesichts muskelbepackter Wachstumsraten und Rekordbeschäftigung hierzulande kollektiv verdrängt.

Kaum ein Land hatte so schnell die Finanzmarktkrise der Jahre 2008 und 2009 hinter sich gelassen wie wir. Im Trotz-Land Deutschland startete die Wirtschaft gut acht Jahre am Stück – und damit im historischen Vergleich ungewöhnlich lange – durch, ehe im zweiten Halbjahr 2018 erste Schwäche-Anzeichen diagnostiziert wurden.

Mit Geschenken an treue Wähler muss es vorbei sein

Der Konjunktur-Marathon glückte trotz des Embargos gegen Russland, trotz zwischenzeitlicher Turbulenzen an den Ölmärkten, trotz der Haushalts-Kamikaze-Politik in Rom, trotz eines mit sich hadernden Frankreichs, trotz Trump, der sein Land mit einer protektionistischen Politik dopen will, trotz zuletzt einer Verschnaufpause des Wirtschafts-Dauerläufers China und sogar lange trotz des unglaublichen Brexit-Wahnsinns.

Der deutsche Konjunktur-Trotzkismus währte so lange, dass Politiker aus der Großen Koalition allerlei Geschenke bevorzugt an ältere und mutmaßlich treue Wähler verteilt haben. Dabei soll das Geld der Steuerzahler weiter mit vollen Händen ausgegeben werden, selbst wenn in den vergangenen Wochen eine Konjunktur-Prognose nach der anderen kassiert wurde. Als ob Rente mit 63 und Mütterrente nicht schon teuer genug sind, soll es nun auch noch eine Grundrente geben.

Dabei sind die fetten Zeiten vorbei, wie immerhin Finanzminister Olaf Scholz gerade seine spendierfreudigen Sozialdemokraten eindringlich warnt. Nachdem die Industrieproduktion zuletzt stark eingebrochen ist und Deutschland 2019 wohl nur mickrig wächst, müssen die Abwehrkräfte im Abschwung schleunigst gestärkt werden. Das gilt selbst dann, wenn Deutschland noch mal knapp einer Rezession entkommt. Zumindest ein Rezessiönchen schließen aber die führenden Konjunkturforscher nicht aus. Die Trotzkopf-Zeiten sind auf alle Fälle vorbei.

Volkswagen weist der Regierung den Weg

Deutschland ist zu einem Weil-Land geworden: Weil der Brexit, Trump und anderes Ungemach drohen, fällt das Wachstum wie in anderen Industrienationen geringer aus. Doch Krisen haben auch ihr Gutes: Die Wirtschaftsnation lässt den großen Selbstbetrug mit angeblich so sauberen Dieselmotoren hinter sich und stellt sich mit Volkswagen an die Spitze einer Elektroauto-Revolution, deren Ausgang freilich ungewiss ist. In dem Autokonzern verbreitet sich nach Jahren demütigender Rückzugsgefechte eine Stimmung des „Jetzt erst recht“. VW weist mit Investitionen von zunächst rund 30 Milliarden Euro in die Elektromobilität auch der Bundesregierung den Weg der Weisheit.

Statt noch mehr soziale Geschenke zu verteilen, ist es an der Zeit, Deutschland für schwierigere Zeiten zu ertüchtigen und damit auch etwas für jüngere Generationen zu tun. Das funktioniert am besten mit zusätzlichen Milliarden-Investitionen in Forschung und Infrastruktur: Wie wäre es mit schnellem Internet überall in Deutschland, einem Ende der Mobilfunk-Funklöcher, einer funktionierenden Bahn, ausreichend Ladesäulen für E-Autos, einer klimafreundlicheren Gesellschaft oder bestens ausgestatteten Schulen und Universitäten?

 
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