Der Sieg von Wolodymyr Selenskyj bei den Präsidentenwahlen in der Ukraine ist eine Sensation. Ein Schauspieler, der in einer Fernsehserie den Präsidenten spielt, wird zum echten Präsidenten. Die Wirklichkeit folgt dem Drehbuch. Doch statt eines strahlenden Happy Ends entschieden sich die Wähler für eine Abrechnung mit ihrem politischen System. Sie beförderten Amtsinhaber Petro Poroschenko krachend aus dem Präsidentenpalast. Nach fünf Jahren an der Spitze des Landes erhielt er kaum mehr als ein Viertel der Stimmen, während der Politikneuling ohne Erfahrung spielend eine satte Mehrheit abräumte.
In den Augen der Ukrainer stand Poroschenko für den verhassten Klüngel und Filz der Oligarchen – jener mächtigen Männer (und selten Frauen), die den Staat mit ihrer aus Geld erwachsenen Macht zu ihrer Beute machen, um noch mehr Geld zu scheffeln. Der Erfolg Selenskyjs ist ein Schrei nach sauberen Politikern, die die mittlerweile knapp drei Jahrzehnte währende Selbstbedienung im Staatsapparat seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion beenden sollen.
Der Schauspieler und der milliardenschwere Oligarch
Leider steht zu befürchten, dass aus dem Wunsch der Wähler nach Bürgernähe und dem Kampf gegen Korruption nichts wird. Denn der 41-jährige Schauspieler unterhält enge Beziehungen zu dem milliardenschweren Oligarchen Igor Kolomoiski. Dessen Fernsehsender 1+1 zeigte Selenskyjs Serie „Diener des Volkes“, in der ein Geschichtslehrer überraschend ins höchste Amt des Landes gespült wird. Kolomoiski wird Veruntreuung vorgeworfen. Eine mehrheitlich ihm gehörende Bank musste mit Steuerzahlergeld gerettet werden, weil sonst das Finanzsystem des Landes kollabiert wäre. Mit dem Erfolg des jugendlich wirkenden Außenseiters wird deshalb keine blütenweiße Seite in der Geschichte der Ukraine aufgeschlagen, sondern eine durch den Verdacht befleckte, dass Selenskyj nur die Marionette von Kolomoiski ist. Von Euphorie ist fünf Jahre nach der Revolution nichts mehr zu spüren. Jeder ist besser als Poroschenko – dieser Leitsatz bestimmte die Wahlen. Ein wirkliches Programm hatte Selenskyj nicht zu bieten.
Selenskyj hat keine Mehrheit im Parlament
Dass der Neue das Land tiefgreifend verändert, dürfte auch daran scheitern, dass er im Parlament über keine Mehrheit verfügt. Was Prognosen zufolge auch nach den Parlamentswahlen so bleiben wird. Parteien in der Ukraine bilden sich in der Regel nicht um einen weltanschaulichen Kern, sondern zumeist um einen reichen Mann oder eine reiche Frau. Die Oligarchen haben das System tief durchdrungen. Selbstredend kontrollieren sie auch die Fernsehsender, über die sich vier von fünf Ukrainern informieren. Wie früher in der Sowjetunion gibt es keine Trennung zwischen Politik, Wirtschaft und Medien. Die Mächtigen des Landes haben nicht das geringste Interesse daran, dass sich an diesem Zustand etwas ändert.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist sich bewusst, in welch eisernem Griff die Oligarchen die frühere Sowjetrepublik halten und dass diese so bald keine Demokratie nach westlichem Vorbild wird. Sie hätte gerne mit Poroschenko weiter zusammengearbeitet, zu dem sie ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. Um die Ambitionen Russlands in Schach zu halten, hätte sie jemanden mit Erfahrung an ihrer Seite bevorzugt, auf dessen Wort sie sich verlassen kann. Nun sieht sich die Kanzlerin mit einem Grünschnabel konfrontiert, während Kremlherrscher Wladimir Putin die Halbinsel Krim im Schwarzen Meer besetzt hält und den Krieg in der Ost-Ukraine jederzeit wieder eskalieren lassen kann. Wenigstens hat Selenskyj feierlich erklärt, an der Westbindung der Ukraine festzuhalten.