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König der Franzosen
Jahrestag: Es war eine kleine französische Revolution, als ein 39-Jähriger ohne langjährige Politik-Erfahrung vor einem Jahr zum Präsidenten gewählt wurde. Emmanuel Macron galt als politischer Shootingstar Europas, die Erwartungen waren groß. Aber hat er die auch erfüllt?
Proteste zum 1. Jahrestag der Amtseinführung von Macron       -  Vor dem ersten Jahrestag der Amtseinführung von Präsident Emmanuel Macron kommt es in Paris zu Protesten Zehntausender Menschen. Demonstranten haben am Samstag ein Gemälde dabei, das den Präsidenten als König Ludwig XVI. zeigt.
Foto: Francois Mori, dpa | Vor dem ersten Jahrestag der Amtseinführung von Präsident Emmanuel Macron kommt es in Paris zu Protesten Zehntausender Menschen.
Birgit Holzer
 |  aktualisiert: 17.05.2018 02:41 Uhr

Als Emmanuel Macron am Abend des 7. Mai 2017 durch den Innenhof des beleuchteten Louvre schritt, allein, dynamisch und doch feierlich, war bereits absehbar, was für ein Präsident er sein würde. Einer, der zwar versprochen hatte, seine Regierung unter dem wenig später ernannten Premierminister Édouard Philippe das Tagesgeschäft leiten zu lassen – der aber trotzdem an vorderster Front steht, während die Technokraten still hinter ihm arbeiten. Einer, der ehrgeizig Reformen anpackt und dem Gegenwind trotzt. Ein Staatschef, der große, symbolische Gesten liebt. Die Organisation seiner Auftritte, seine Außendarstellung kontrolliert er strikt.

Ein „PR-Präsident“ sei das, sagt Caroline, die als Web-Designerin in Paris arbeitet und auf einer Caféterrasse ein paar Sonnenstrahlen erhascht. Sie habe sich bei der Wahl enthalten, weil sie diesen Strahlemann, der sich von Konzernchefs habe sponsern lassen, nicht leiden könne. „Ich sehe nicht, inwiefern Macron gut für Frankreich sein soll. Er macht seine Show, das ist alles.“

Vor einem Jahr galt er vielen in Europa als politischer Shooting-Star, der mit nur 39 Jahren an die Spitze Frankreich geschossen war. Das gelang ihm nicht mit einer etablierten Partei, sondern mit seiner eigenen, noch jungen Bewegung. Geschickt nutzte Macron den Überdruss der Franzosen am bisherigen System. Sein ungewöhnliches Privatleben, die Ehe mit seiner 25 Jahre älteren früheren Lehrerin Brigitte, untermauert noch das Bild von einem Mann, der unbeirrbar seinen eigenen Weg geht.

Doch während ihn die ausländische Presse als „Heilsbringer“ feierte, schlägt ihm seit jeher aus Teilen der französischen Bevölkerung Misstrauen entgegen, wo dem früheren Investmentbanker der Ruf eines arroganten Vertreters der Elite anhaftet. Viele stimmten in der Stichwahl für ihn, um die Rechtspopulistin Marine Le Pen zu verhindern. Auf die Frage, ob sein Nachfolger ein „Präsident der Reichen“ sei, antwortete François Hollande nun: „Nein – er ist der Präsident der Superreichen.“ In seinem Buch „Lektionen der Macht“ beschreibt Hollande Macron als „lebhaft, schnell, kultiviert, der seinen Gesprächspartner um den Finger zu wickeln weiß, indem er rasch errät, was diesem angenehm zu hören ist“. Mit Beliebtheitswerten von knapp unter 50 Prozent steht Macron aber weiterhin gut da. Er gilt als glaubwürdig. „Ich tue, was ich sage“, versicherte er kürzlich in einem Fernseh-Interview. „Vielleicht war man daran nicht mehr gewöhnt.“ Eine aktuelle Umfrage vom Freitag belegt, dass 57 Prozent der Befragten die Bilanz von Macrons erstem Amtsjahr negativ sehen. 64 Prozent sagen, sie seien „enttäuscht“ von ihm.

Für die Umsetzung seiner Projekte kann er auf seine Partei „La République en marche“ („Die Republik in Bewegung“) zählen, die im Juni die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung errang. Der Eintritt vieler Politik-Novizen führte dort zu einer starken Erneuerung und Verjüngung. Teilweise seien echte Laien am Werk, sorgt sich jedoch Gérald, stellvertretender Bürgermeister eines kleinen Dorfes in Südwestfrankreich. „Erfahrene Abgeordnete wurden rausgekickt, weil Macrons Leute alles übernommen haben. Er hat das nur geschafft, weil alle Medien hinter ihm stehen.“

Der rasante Aufstieg des 40-Jährigen hat die französische Parteienlandschaft erschüttert. Noch immer kämpfen die Oppositionskräfte, um sich wieder aufzurichten. Derweil entdecken die Franzosen den Präsidenten, der vieles anders machen will – und dennoch stark auf Traditionen setzt, wie er bereits am Wahlabend zeigte. Das Louvre-Gebäude, das heute Frankreichs größte Kunstsammlung beherbergt und einst Sitz der Könige war, nimmt eine Schlüsselstellung in der Geschichte des Landes ein. Damit passte es in Macrons Vorstellung von einer würdevollen Amtsübernahme – hatte er doch gesagt, die Franzosen seien Nostalgiker der Monarchie, seit der „Platz des Königs“ leer sei. Trotz seines jugendlich-modernen Auftretens verzichtet er keineswegs auf all den goldglänzenden Pomp, der den französischen Präsidenten umgibt. Bald schon wurde er mit dem Spitznamen „Jupiter“ verspottet, weil er wie der Göttervater abgehoben über den Dingen stehe. Bei persönlichen Begegnungen hingegen gibt sich Macron leutselig und empathisch.

Die erste Rede nach der Wahl hielt Macron weder am Concorde-Platz, wo siegreiche konservative Präsidenten ihre Anhänger versammeln; noch an der Bastille, wo sein sozialistischer Vorgänger Hollande den Wahlerfolg feierte. Sondern er, der sich als Politiker der Mitte „sowohl links als auch rechts“ sieht, positionierte sich mit dem Louvre auch geografisch im Zentrum von Paris. Dem widersprechen allerdings vor allem Linke angesichts der Abschaffung der Reichensteuer und der Beschränkung von Arbeitnehmerrechten, etwa durch die Lockerung des Kündigungsschutzes. So bescheinigte ihm die frühere Sozialistenchefin Martine Aubry, Macron sei „weder links noch links“. Gegen sein verschärftes Asylgesetz, das Menschenrechtsorganisationen scharf kritisieren, regt sich sogar in seiner eigenen Partei Widerstand. Sie sei bisher mit vielem einverstanden gewesen, sagt die Französin Cécile, die in Berlin lebt. „Aber zwischen seinen humanen Reden und seiner tatsächlichen Einwanderungspolitik klafft ein Graben. Das schockiert mich.“ Gut finde sie Emmanuel Macrons pro-europäische Haltung.

So erklang vor seinem Gang zur Louvre-Pyramide vor einem Jahr nicht die Marseillaise, sondern Beethovens „Ode an die Freude“ – die Europahymne. Diese Musikauswahl traf zwar bereits François Mitterrand bei seinem Sieg 1981. Aber für Macron war ein offenes Bekenntnis zu Europa mehr als für alle seine Vorgänger Programm. Für sein „Eintreten für Zusammenhalt“ und den entschiedenen „Kampf gegen jede Form von Nationalismus und Isolationismus“ wird ihm am 10. Mai der Karlspreis der Stadt Aachen verliehen. Die Karlspreisgesellschaft verbindet mit der Ehrung eines „mutigen Vordenkers für die Erneuerung des europäischen Traums“ die Hoffnung, dass Macrons Vorschläge die europäischen Partner inspirieren.

Diese hat sich inzwischen allerdings eingetrübt. Es fehlt an Mitstreitern innerhalb der EU, trotz der Verve, mit der Macron Anfang September vor historischer Kulisse in Athen und kurz darauf an der Pariser Sorbonne-Universität für eine „Neugründung Europas“ warb. Hier beschrieb er seine Vision eines tief vernetzten Europas und einer Euro-Zone mit eigenem Budget und Finanzminister. Deutschland hat er als wichtigsten Partner ausgemacht; doch Differenzen bleiben, so stark er und Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Einheit auch nach außen demonstrieren.

Warum Macron Interesse am Nachbarland habe, beschreibt die Frankreich-Korrespondentin der FAZ, Michaela Wiegel, in ihrer Biografie über ihn: Er habe sich bereits in seiner Zeit als Wirtschaftsminister unter Hollande bemüht, Kontakte nach Deutschland aufzubauen und suche heute einen „deutsch-französischen Austausch, der über das Management gerade akuter Krisen hinausreicht“.

Wie bei französischen Präsidenten üblich nimmt auch bei Macron die Außenpolitik großen Raum ein. Er macht sich persönlich zum ersten Botschafter des Landes, indem er im Ausland selbstbewusst verkündet, Frankreich sei wieder attraktiv für Investoren, seit es sich reformiere und modernisiere. Diplomatisch versucht er, Paris in eine Schlüsselposition zu bringen mit der Organisation von internationalen Gipfeln wie zur Flüchtlingsfrage oder zur Syrien-Krise. Im April beschloss er die Beteiligung an einem militärischen Schlag gegen das syrische Chemiewaffenprogramm an der Seite der USA und Großbritanniens. Nach dem Motto, er werde „mit allen über alles reden“, bereitete Macron den Präsidenten der USA und Russlands, Donald Trump und Wladimir Putin, pompöse Empfänge – um dann Meinungsverschiedenheiten offen und sogar brüsk anzusprechen. Sein Gegenbesuch bei Trump in Washington zeigte allerdings die Grenzen dieser Diplomatie zwischen Schmeicheln und forschem Fordern: Trotz der gestenreich demonstrierten Männerfreundschaft ließ sich der US-Präsident bei Sachthemen kaum beeinflussen.

Und so gelang Macron in seinem ersten Jahr im Amt zwar ein Imagewandel für Frankreich. „Ich bin stolz, dass wir im Ausland wieder Ansehen genießen und nicht mehr als Klumpfuß Europas gesehen werden“, kommentiert ein Unternehmer Macrons US-Besuch im Internet. Die Neuverschuldung wurde gemäß der Brüsseler Vorschriften erstmals seit 2007 unter drei Prozent gedrückt, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Wirtschaft zieht an.

Doch es blieben Probleme wie jene der vernachlässigten Vorstädte oder einer Schulbildung, die soziale Ungleichheit noch verstärkt. Gesetze bei der Arbeitslosenversicherung, der beruflichen Aus- und Weiterbildung stehen an sowie die Reform der Staatsbahn SNCF, gegen die massiv gestreikt wird. Erstmals seit Macrons Antritt herrscht Unruhe im Land. Erst am Samstag protestierten in Paris rund 40 000 Menschen gegen den Reformkurs des Präsidenten.

Macron wurde gewählt, um die Lage im Land zu verändern. Verbessert er sie auch? Ihm bleiben vier Jahre, um es zu beweisen.

Kanzlerin Merkel hält Laudatio für Karlspreisträger Macron

Bundeskanzlerin Angela Merkel hält die Laudatio bei der Verleihung des Karlspreises 2018 an Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Macron erhält an Christi Himmelfahrt im Aachener Rathaus die Auszeichnung „für seine kraftvolle Vision von einem neuen Europa“. Macron wird der 60. Träger des Karlspreises, Kanzlerin Merkel erhielt ihn 2008. Im vergangenen Jahr ging der Preis an den britischen Historiker Timothy Garton Ash, 2016 an Papst Franziskus.

Der Aachener Karlspreis wird seit 1950 an Persönlichkeiten und Institutionen vergeben, die sich um die Einigung Europas verdient machten. Zum Namensgeber wurde Karl der Große, der als erster Einiger Europas gilt und Aachen zu seiner Lieblingspfalz erkor. Der Karlspreis besteht aus 5000 Euro, einer Urkunde und einer Medaille. afp/kna

 
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