Im Erzbistum Köln ist am Freitag etwas passiert, das bis vor kurzem wohl die wenigsten für möglich gehalten hätten: Die katholische Kirche hat gleichsam amtlich festgestellt, dass ihr das Volk den Gehorsam aufgekündigt hat. Ranghohe Vertreter des größten deutschen Bistums beriefen im Generalvikariat eine Pressekonferenz ein und erklärten dort: Die kirchliche Lehre zu Themen wie Empfängnisverhütung, vorehelicher Sex, Homosexualität und Scheidung wird von den Gläubigen nicht mehr geteilt.
Die Offenheit, mit der das geschah, die Schonungslosigkeit der Formulierungen ging über alles hinaus, was man bisher an Selbstkritik kannte. Kardinal Joachim Meisner, der konservative Erzbischof, saß zwar nicht mit am Tisch, hatte der Veröffentlichung der Umfrage aber zugestimmt – anders als andere Bischöfe. Man kann das bewundern. Denn der 79-Jährige, der bis Februar aus dem Amt scheiden wird, muss sich angesichts dieser Ergebnisse fragen, was seine Tätigkeit in Köln eigentlich bewirkt hat: 25 Jahre lang hat er dem Erzbistum vorgestanden und in dieser Zeit nach Kräften konservative Einstellungen und Leute befördert. Doch geholfen hat es offenbar nicht. Die Gläubigen denken nach wie vor anders als er.
Meisner vertritt gern die Ansicht, dass die kritischen Katholiken eben diejenigen seien, die sich lautstark zu äußern pflegten, die schweigende Mehrheit dagegen sei durchaus gehorsam. Doch die Umfrage scheint ihn auch in diesem Punkt zu widerlegen. Sie ist zwar nicht repräsentativ, weil sie nicht von einem Meinungsforschungsinstitut erhoben wurde, doch haben sich alle maßgeblichen katholischen Gremien und Verbände eingebracht. Hier melden sich nicht liberale Kirchentagskatholiken zu Wort, hier sprechen diejenigen, die in den Pfarreien wirklich aktiv sind.
Konservative hatten an Gleichgesinnte appelliert, sich ebenfalls an der Umfrage zu beteiligen, um das Gesamtbild in ihrem Sinne zu beeinflussen. Doch angesichts der Ergebnisse muss man feststellen: Entweder ist der Aufruf verhallt oder die Konservativen stellen im Rheinland eine verschwindende Minderheit dar.
Verständlich also, dass unter reformorientierten Katholiken immer öfter die Worte „Glasnost“ und „Perestroika“ fallen. Ihr Gorbatschow ist natürlich Papst Franziskus, der auch diese Umfrage initiiert hat. Vor der für nächstes Jahr geplanten Bischofssynode in Rom zu Familienfragen will er ein weltweites Stimmungsbild erheben.