Die Große Koalition wird auf Entzug gesetzt. Weil die Steuereinnahmen nicht mehr so üppig fließen, wird sie sich von drei Herzensprojekten verabschieden müssen. Zur Disposition stehen einerseits die Grundrente von SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil und andererseits die von CDU/CSU verlangte Komplettstreichung des Solidaritätszuschlags sowie die geforderte Aufstockung der Etats für die Bundeswehr. Die harte Wahrheit werden dem Regierungsbündnis die Steuerschätzer präsentieren, die am Donnerstag ihre neuen Zahlen vorlegen.
Wie von den Haushältern aus Koalitionskreisen zu hören ist, wird der Bund bis 2023 rund 75 Milliarden Euro weniger zur Verfügung haben als noch im November prognostiziert, als die Steuerschätzer das letzte Mal zusammensaßen. Die Konjunktur hat sich seitdem stärker abgekühlt als erwartet, weshalb die Staatskasse nicht mehr so übermäßig befüllt wird. Dies heißt wohlgemerkt nicht, dass die öffentliche Hand weniger Geld einnimmt, sondern dass die Einnahmen nicht mehr so stark wachsen, wie noch im alten Jahr vorausgesagt.
Für Scholz kommt es in der Praxis aber nicht so knüppeldick, wie es im ersten Augenblick ob der gewaltigen Summe erscheint. Der SPD-Politiker wendet zwei Tricks an, um die Lücke zu schrumpfen. Erstens kann er auf die prall gefüllte Flüchtlingsrücklage zurückgreifen und zweitens kalkuliert er mit sogenannten globalen Minderausgaben. Dabei unterstellt Scholz, dass nicht alle vorgesehenen Ausgaben wie geplant abgerufen werden, zum Beispiel weil die Bundeswehr wegen ausbleibender Lieferungen kein Kriegsgerät bezahlen muss oder der Bau von Autobahnen später beginnt. Unter dem Strich fehlen dem Finanzminister 15 Milliarden Euro bis 2023, die er einsparen muss. Das macht pro Jahr drei bis vier Milliarden.
„Scholz müsste jetzt sagen, wo er kürzen will, aber er agiert immer noch nicht wie ein Finanzminister, sondern wie ein Kanzlerkandidat“, kritisierte der FDP-Chefhaushaushälter Otto Fricke im Gespräch mit dieser Redaktion. Für Fricke fällt Schwarz-Rot nun in das „selbstgeschaufelte Grab“, weil die Parteien seit 2013 die Ausgaben stetig ausgeweitet haben. Als Beispiel nennt der Oppositionspolitiker die Sozialausgaben, die zwischen 2010 und 2018 von 100 Milliarden Euro auf 180 Milliarden pro Jahr angeschwollen sind. Die Liberalen würden, so sie denn an der Macht wären, das Baukindergeld abschaffen und die abschlagsfreie Rente mit 63 zurückdrehen. „Gute Haushaltspolitik erkennt man daran, wie ich mit den Ausgaben zurechtkomme“, legte Fricke nach.
Bei der Union hat Chefhaushälter Eckhardt Rehberg (CDU) die Linien glatt gezogen. Zusätzlichen Steuersenkungen erteilte er eine Absage und enttäuschte damit die Wirtschaftspolitiker seiner Fraktion, wie Hans Michelbach (CSU) aus Franken. Der will sich damit nicht abfinden. „Man muss die Wirtschaft ankurbeln und keine Vollbremsung machen“, sagte der CSU-Politiker dieser Redaktion. Er beharrte darauf, die Belastung der Unternehmen um drei Prozentpunkte zu senken, „um ein Zeichen zu setzen“. Die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung, wie von der SPD vorgesehen, könne nicht kommen, genauso wenig wie die von seinem Parteifreund und Verkehrsminister Andreas Scheuer geforderte Extramilliarde zum Ausbau des Ladenetzes für Elektro-Autos. „Die Koalition muss die Kraft haben, gegenzusteuern. Aber Scholz hat keinen Plan, lässt es einfach treiben“, beklagte Michelbach.
Der Finanzminister wird am Donnerstagnachmittag Rede und Antwort stehen, wie er das Budget ausgeglichen halten will. Wenn er Glück hat, nimmt die Wirtschaft schneller wieder an Fahrt auf als es die Konjunkturdeuter heute erwarten. Dann wäre er sein Problem los. Das Arbeitsministerium von Hubertus Heil gibt sich schon einmal kämpferisch. „Wir sehen keinen Anlass, aufgrund einer Steuerschätzung unser Konzept einer Grundrente nicht auf den Weg zu bringen“, erklärte eine Sprecherin.