Überfüllte Wartezimmer und verstopfte Rettungsstellen in Krankenhäusern – der Chef der Kassenärzte will den Stau durch eine Wiederauflage der Praxisgebühr lösen. Doch Andreas Gassen stößt mit seiner Forderung in der Großen Koalition auf unzweideutige Ablehnung. „Die Forderung der Kassenärztlichen Vereinigung ist unverschämt und dreist“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im Gespräch mit dieser Redaktion. Für ihn liegt die Schuld an langen Wartezeiten und überlasteten Notfallambulanzen bei ihr selbst. „Die Kassenärztliche Vereinigung versucht, aus ihrem eigenen Versagen heraus Profit bei den Patienten herauszuschlagen“, empörte sich Lauterbach. Sie habe es versäumt, eine 24-stündige Erreichbarkeit aufzubauen.
Gassen hatte zuvor in einem Interview ebenfalls zu unverblümten Worten gegriffen. „Es kann dauerhaft kaum jedem Patienten sanktionsfrei gestattet bleiben, jeden Arzt jeder Fachrichtung beliebig oft aufzusuchen, und oft noch zwei oder drei Ärzte derselben Fachrichtung“, hatte er der Neuen Osnabrücker Zeitung gesagt. Der Ärzte-Lobbyist echauffierte sich über eine Flatrate-Mentalität und einen irrsinnigen Rundum-sorglos-Anspruch, wenn Patienten wegen Kleinigkeiten in die Notfallambulanzen kommen.
Tatsächlich sind überlastete Rettungsstellen in den Kliniken vor allem am Wochenende ein Problem, wenn die Praxen geschlossen haben. Dass ein Termin bei einem Spezialisten manchmal erst nach Monaten zu ergattern ist, diese Erfahrung haben schon viele Kranke gemacht. Sie entspricht aber nicht der Regel. Nur 15 Prozent warten länger als drei Wochen auf einen Termin beim Facharzt, wie aus der Patientenbefragung der Kassenärztlichen Vereinigung mit über 6000 Teilnehmern aus dem Frühjahr hervorgeht. Dreißig Prozent bekommen hingegen sofort einen Termin. Den Eindruck, dass die Praxen unter dem Ansturm kollabieren, hat die Befragung jedenfalls nicht bestätigt. Lediglich drei Prozent der Patienten müssen demnach im Wartezimmer länger als zwei Stunden Platz nehmen.
Die Forderung der Kassenärzte knüpft an die Praxisgebühr an, die zwischen 2004 und 2012 bezahlt werden musste. Für die Konsultation eines Facharztes ohne Überweisung oder die Inanspruchnahme des Notdienstes der Krankenhäuser waren damals pauschal 10 Euro fällig. Stichproben ergaben seinerzeit, dass dadurch rund neun Prozent weniger Patienten vorstellig wurden.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag (CDU), hat zumindest Verständnis für den Wunsch Gassens nach Steuerung. Ein Comeback des Praxis-Zuschlags lehnt aber auch sie eindeutig ab. „Der Patient kann weiterhin sicher sein, dass ihm von dem Arzt, den er aufsucht, ohne Strafgebühr geholfen wird“, sagte die Abgeordnete aus Stuttgart unserer Redaktion.
Im Herbst will die Koalition eine Reform der Notfallversorgung beschließen. Sie sieht unter anderem telefonische Notfallleitstellen sowie spezielle Notfallzentren vor. Je nach Schwere des Falles soll dort entschieden werden, ob Patienten im Krankenhaus oder ambulant behandelt werden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte seinen Entwurf vor der Sommerpause vorgelegt. Auf Strafgebühren will er verzichten. „Für uns steht die freie Arztwahl nicht zur Debatte“, erklärte sein Haus.
Christian Grimm