Die Vereinten Nationen erhöhen zwei Wochen vor dem UN-Mammutgipfel über nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro den Druck. In ihrem neuesten Bericht über den Zustand der Erde („GEO-5“) zieht das UN-Umweltprogramm (UNEP) eine zum Teil vernichtende Bilanz über die Umsetzung bisheriger Umweltziele.
Nach „Millionen von Statements“, Hunderten Vereinbarungen und international geregelten Zielen gebe es in den allermeisten Bereichen kaum Fortschritte. Die Bilanz der Wissenschaftler: Ein „Weiter so“ gefährdet die Existenzgrundlage der Erde und hinterlässt nachkommenden Generationen eine kaum zu schulternde Bürde.
„Wir verdammen die Menschen dazu, dass sie später keine Wahl mehr haben“, warnte UNEP-Direktor Achim Steiner bei der Vorlage des Weltumweltberichtes in Rio de Janeiro. Dort werden vom 20. bis 22. Juni mehr als 100 Staats- und Regierungschefs zum „Rio+20“-Gipfel erwartet. Hunderte Wissenschaftler arbeiteten in den vergangenen drei Jahren an dem 525 Seiten starken Bericht, der unter anderem die wichtigsten 90 von 500 international vereinbarten Zielen unter die Lupe nahm.
Nur bei mageren vier Zielen gab es signifikante Fortschritte. So werden mittlerweile deutlich weniger ozonschädigendes Gas in die Atmosphäre gejagt und die Meere weniger verschmutzt. In Kraftstoffen ist weniger Blei und mehr Menschen haben Zugang zu sauberem Wasser. Doch schlechte Nachrichten überwiegen.
Beispiel Klima: Werden Produktions- und Konsummodelle nicht umgestellt, drohe eine Erderwärmung von drei Grad bis Ende des Jahrhunderts - mit nicht absehbaren Folgen. Beispiel Biodiversität: Ein Fünftel der Wirbeltier-Spezien sind trotz Artenschutz-Abkommen bedroht. Und auch beim Meeresschutz gibt es kaum Fortschritte, Korallenriffe sind gefährdet.
„Wir müssen uns beeilen. Die Uhr läuft. Die Zeit ist nicht mehr auf unserer Seite“, warnte die UNEP-Wissenschaftlerin Fatoumata Keita-Ouane. Warum gibt es trotz unzähliger Konferenzen, Deklarationen und Arbeitsgruppen nur so wenig Fortschritte? Die Antworten sind vielschichtig. Es gebe Wirtschafts- und Finanzkrisen, die Weltbevölkerung sei auf 7 Milliarden Menschen angewachsen und es bestehe eine Kluft zwischen Entwicklungs- und den Instustrieländern, nannte Henrietta Elizabeth Thompson, UN-Exekutiv-Koordinatorin für „Rio+20“ einige Gründe. „Vor allem aber: Die Länder haben das Prinzip der Nachhaltigkeit nicht als Schlüsselelement in die Politik und die Haushaltszuweisungen integriert.“
Die Hoffnungen liegen nun auf dem Nachhaltigkeitsgipfel Rio+20, wo das Konzept der „Green Economy“ (Grünen Wirtschaft) auf den Weg gebracht und ein Prozess zur Entwicklung konkreter Zielen eingeleitet werden soll. UNEP-Chef Steiner sieht den Bericht als Grund zur ernsten Besorgnis und Frustration.
Aber die Studie zeige auch Erfolge, die nicht gering geschätzt werden dürften. So verweist der Deutsche auf China, das den Ansatz der „Green Econonmy“ fest in der Politik verankert habe und bei der Windenergie inzwischen führend sei. Brasilien habe deutlich weniger Wald zerstört und Kenia stelle den Energie-Mix auf Erneuerbare Energien um. „Das zeigt doch alles“, resümiert Steiner, „der Wandel ist möglich“.
Experten ziehen ernüchternde Bilanz bisheriger Umweltabkommen
Obwohl es mehr als 500 global vereinbarte Umweltziele gebe, könne von einem global nachhaltigen Kurs nicht die Rede sein, erklärte Jan Dusik, Regionaldirektor des UN-Umweltprogramms für Europa, zur Vorlage des fünften „Globalen Umwelt-Ausblicks“ (GEO-5). Darin hatten Experten 90 vereinbarte Umweltziele auf ihre Umsetzung hin untersucht. „Nur in vier davon haben wir entscheidende Fortschritte festgestellt“, sagte Dusik.
Zu den Erfolgen gehören das Verbot von Schadstoffen, die die Ozonschicht gefährden, das Verbot von Blei in Treibstoffen, den verbesserten Zugang zu sauberem Trinkwasser und die Förderung von Forschungen, die die Verschmutzung der Meere verringern. Während bei 40 Zielen wenigstens einige Fortschritte festgestellt wurden, gibt es in mehr als einem Viertel der Fälle nur wenig oder gar keinen Fortschritt - etwa beim Klimaschutz. Bei acht Zielen wird sogar eine Verschlechterung der Lage konstatiert. Für 14 Ziele fehlen die nötigen Daten, um den Fortschritt beurteilen zu können. „Wir sind an einem Punkt angelangt, wo es nicht mehr reicht, darüber zu diskutieren, was wir anders machen müssen“, forderte der Budapester Professor Lazslo Pinter, einer der Autoren des mehr als 500 Seiten starken GEO-5- Berichts (Global Environmental Outlook). „Wir müssen auch darüber reden, was wir nicht mehr machen dürfen.“
In vielen Bereichen des globalen Ökosystems könnte bald der Punkt überschritten sein, an dem ein Richtungswechsel noch möglich sei. UNEP-Europa-Koordinator Ron Witt beklagte, umso schlimmer sei, dass bereits eingegangene Verpflichtungen zugunsten der Umwelt immer weniger beachtet würden. „Bei der Basel-Konvention gegen Giftmüll etwa haben wir das Problem, dass immer weniger Staaten ihre Berichte an das Sekretariat abliefern“, sagt er. „Das hat zur Folge, das wir heute nicht mehr, sondern weniger über die Situation in Sachen Giftmüll wissen als noch vor fünf oder zehn Jahren.“
Auf dem Gipfel in Rio de Janeiro vom 20. bis 22. Juni müsse deshalb auch die bessere Umsetzung der geltenden internationalen Abkommen Thema sein. Europa, so Witt, sei Hoffnungsträger: „Technologien und Strategien gegen Umweltverschmutzung und Naturzerstörung, die in europäischen Ländern entwickelt worden sind, sind wahre Exportschlager, in Asien.“ Autoren des Berichts erklärten, es habe gerade aus Deutschland so viele positive Beispiele gegeben, dass sie im Bericht nicht alle Platz gefunden hätten. In Rio müsse es nun darum gehen, dass Europa seiner Vorbildrolle gerecht werde. Text: dpa