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BRÜSSEL
Klimaneutral nur mit Atomstrom?
Detlef Drewes
Detlef Drewes
 |  aktualisiert: 21.12.2019 02:11 Uhr

Ein bengalisches Feuerwerk an der Fassade der Brüsseler EU-Kommission, ein langes Banner mit der unübersehbaren Aufschrift „Klimanotstand“ – Aktivisten der Umweltorganisation Greenpeace hatten am Donnerstag dafür gesorgt, dass die Staats- und Regierungschefs in Brüssel nicht übersehen konnten, wozu sie eigentlich hergekommen waren. „Die globale Erwärmung schreibt uns vor, was wir zu tun haben,“ bemühte sich die neue Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen noch einmal, ihren Green Deal vom Vortag zusammenzufassen. „Ich hoffe auf starke Unterstützung.“

Eine Einigung auf die Klimaneutralität in der ganzen EU bis 2050 wäre ein „starkes Zeichen“, betonte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und setzte hinzu: „Ich hoffe, dass es gelingt.“ In ähnlichen Worten wiederholten das fast alle Staatenlenker, um zu zeigen, dass sie bereit für die Wende sind. Tatsächlich waren es nur 25 der 28 Mitgliedstaaten, die schon vor der abendlichen Diskussion ihre Entschlossenheit zur Klimaneutralität bekundet hatten. Und prompt begannen die Meinungsverschiedenheiten.

Denn auf dem Weg zu einer CO2-freien Zukunft stolperte die Union regelrecht über ein Thema, das die Kommission eigentlich gerne rausgehalten hätte: die Kernkraft. „Ohne Atomenergie erreichen wir die Klimaneutralität nicht“, sagte der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis. Er rechnete vor: „Österreich hat keinen Atomstrom. Aber alleine heute Morgen bezog Wien 25 Prozent seines Energiebedarfs aus unseren Atommeilern. Ohne uns gingen in der Hauptstadt die Lichter aus.“

Erlebt die Kernenergie eine Renaissance?

Polen, Tschechien und Ungarn fürchten die gewaltigen Umstiegskosten auf erneuerbare Energien – selbst mit der im Green Deal vorgesehen Subventionierung aus den Brüsseler Fördertöpfen. „Atomstrom ist eine saubere Energie ohne Emissionen“, sagte Babis. „Ich weiß nicht, warum manche Länder damit ein Problem haben.“ Ob die Kernenergie am Ende sogar eine Renaissance erlebt, weil etliche EU-Regierungen sie als „grüne Investition“ anerkennen wollen, ist umstritten. Unterstützung bekamen Warschau, Prag und Budapest vom französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der Verständnis für jene Länder forderte, die zur Erreichung der Klimaziele wieder auf Kernenergie setzen. Und der dabei sicherlich auch seinen eigenen Energiemix zu Hause im Blick hatte. Denn Frankreich bezog 2018 rund 72 Prozent seines Strombedarfs aus der Atomenergie. Jeder müsse den Übergangsprozess so gestalten können, wie er wolle, sagte Macron.

Dass der Gipfel sich schwertun würde, war absehbar – zumal die gewaltigen Investitionen für die ökologisch-ökonomische Revolution noch nicht absehbar sind. Kommissionschefin von der Leyen hatte von rund 260 Milliarden Euro gesprochen, die jährlich fällig würden. Dabei ist zwölf Monate, bevor eine Einigung über den Finanzrahmen ab 2021 stehen muss, nicht einmal die Spur eines Kompromisses erkennbar. Die Kommission fordert einen Sieben-Jahres-Etat in Höhe von 1,135 Billionen Euro – das wären 1,114 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Das EU-Parlament, das am Ende zustimmen muss, denkt sogar an 1,3 Prozent. Deutschland, Österreich und andere sind zu gerade mal einem Prozent bereit.

Woher kommt das ganze Geld für die Pläne?

Denn in Berlin hat man nachgerechnet. Durch den Brexit kommen auf Deutschland als größtem Beitragszahler ohnehin zusätzliche Kosten zu. Wegen der gut laufenden Konjunktur (der Beitrag bemisst sich am Bruttoinlandsprodukt jedes Mitgliedslandes) muss Berlin aber sowieso tiefer in die Tasche greifen. Das macht zusammen pro Jahr netto 30 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt, bisher waren es 13,5 Milliarden. Ohne Einigung in dieser Frage kann von der Leyen aber keine Klimaschutz-Pakete schnüren, weil sie nicht weiß, wie viel Geld sie zur Verfügung hat. Und so war am Donnerstagabend noch nicht klar, ob die Nacht einen Durchbruch oder ein Scheitern bringen würde.

Nur in einem Punkt zeigten sich alle Staats- und Regierungschefs erleichtert: Nach vielen vorangegangenen Treffen war dies der erste EU-Gipfel, bei dem das Thema Brexit nicht im Mittelpunkt stand.

 
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