Die Auswirkungen des Klimawandels treiben weltweit Millionen Menschen in die Flucht. Nahezug alle Regionen der Welt sind von den Folgen der steigenden Meeresspiegel, schmelzenden Gletscher, Wüstenbildungen oder Überschwemmungen betroffen – besonders aber Afrika. Klimaforscher Heiko Paeth, Professor für Physische Geografie an der Uni Würzburg, erklärt, warum es gerade Ostafrika so stark trifft.
Heiko Paeth: Sie meinen, weil der Klimawandel bei uns noch nicht so zugeschlagen hat, wie in anderen Regionen, zum Beispiel Ostafrika, das gerade eine der verheerendsten Dürren der letzten Jahrzehnte erlebt? Es ist immer eine Frage der Perspektiven. Vielleicht sind wir klimatisch etwas verwöhnter. Nichtsdestotrotz stellen wir seit etlichen Jahren fest, dass wir in allen möglichen Jahreszeiten immer wieder von Extremereignissen sprechen: Trockenheit, Überschwemmungen, Hitzewellen, Starkwindereignisse, die sich ein bisschen zu häufen scheinen.
Paeth: Rein physikalisch oder mathematisch ausgedrückt, zum Beispiel in Form der höchsten Erwärmungsraten: in den Hochgebirgen und an den Polkappen. Im Bereich des Nordpolarmeers haben wir Erwärmungsraten von mehreren Grad Celsius. Aber auch hier bei uns in Franken haben wir überdurchschnittlich hohe Temperaturanstiege.
Paeth: Sozioökonomisch ausgedrückt, also im Hinblick auf die Folgen der Klima- oder Witterungsanomalien, muss man überall in die Regionen schauen, wo Menschen und ihre Existenzen stark an den klimatischen Rahmenbedingungen hängen. Also zum Beispiel in die trockenen Regionen der Erde, wo das längerfristige Ausbleiben der Niederschläge sofort Missernten und Hungersnöte hervorruft. Ein Kontinent hat sich da seit Jahrzehnten schon negativ hervorgetan: Afrika. In den 70er und 80er Jahren betraf es hauptsächlich die westlichen Staaten südlich der Sahara, Stichwort Sahelzone. Seit einigen Jahren ist Ostafrika stark von Trockenheit betroffen. Wobei man differenzieren muss: Beide Entwicklungen sind nicht gleichermaßen auf den menschgemachten Klimawandel zurück zu führen.
Paeth: Bei der Trockenheit in der Sahelzone geht es um eine komplexe Gemengelage: spürbare Effekte einer steigenden Treibhausgaskonzentration, also klar menschgemacht, wichtige Effekte durch die Verschlechterung und Verwüstung der Böden durch Überweidung oder Übernutzung. Im östlichen tropischen Afrika haben wir einen starken Einfluss der El Nino- und La Nina-Ereignisse, also der nicht zyklischen, veränderten Strömungen im ozeanografisch-meteorologischen System im Pazifik. Gerade La Nina-Ereignisse sorgen durch geringere Meeresoberflächentemperaturen im westlichen indischen Ozean häufig dafür, dass die Niederschläge, die auch in Ostafrika saisonal an Regenzeiten gekoppelt sind, ausbleiben. Nach der Lehrbuchmeinung sorgen sie für Dürre in Ostafrika, einer der trockensten Regionen am Äquator. Ausgerechnet dort, wo man hohe Niederschläge erwarten würde, haben wir ein ausgekochtes Trockenklima.
Paeth: Wir haben in den vergangenen 15 Jahren häufiger starke La- Nina-Ereignisse gehabt im westlichen Indischen Ozean, so dass weniger feuchte Luftmassen nach Ostafrika transportiert wurden. Interessanterweise gab es 2015 auch ein sehr starkes El Nino-Jahr, bei dem man laut Lehrbuchmeinung viel Niederschlag bekommt – aber er hat sich nicht eingestellt. In der tropischen Klimatologie haben wir diese Fernbeziehungen zwischen Klimaphänomenen in ganz unterschiedlichen Regionen auf der Welt noch nicht richtig verstanden. Ostafrika hat das Pech mal unter diesem, mal unter jenem Einfluss zu stehen. Was gerade geschieht, ist eine der verheerendsten Klimaanomalien der letzten Jahrzehnte mit möglicherweise einer Million Toten. Das hätte die Dimension der Saheldürre in den 70er, 80er Jahren.
Paeth: Eine statistisch gesehen deutliche Abweichung von der Normalität, die man definieren muss. Wir nutzen dafür 30-jährige Referenzzeiträume und sagen, es gibt ein typisches Klima mit bestimmten Schwankungen und Mittelwerten. Anomalie – das sagt noch nichts über die Kausalzusammenhänge und Ursachen aus. Manche sind vom menschlichen Handeln völlig unabhängig, manche stehen in engem Zusammenhang mit dem menschgemachten Klimawandel. Gerade im Hinblick auf Afrika sehen wir den menschlichen Zusammenhang im tropischen Westen. In Ostafrika ist es noch nicht ganz klar, welche Rolle der Einfluss des Menschen spielt. Das El Nino-Phänomen ruft völlig unabhängig vom Einfluss des Menschen als Hauptakteur auf unserem Planeten Klimaanomalien hervor.
Paeth: Das ist eine hochaktuelle Frage. Tatsächlich warnen Klimaforscher schon seit den 90er Jahren davor, dass sich in manchen Regionen in Zukunft die klimatischen Bedingungen so weit verschlechtern werden, dass Menschen keine Existenzgrundlage mehr haben. Die Menschen, die heute auf der Flucht sind, haben dafür unterschiedliche Gründe. Aber Klima kann ein Trigger, ein Treiber sein. Nach allem, was wir erwarten, werden sich gerade in Afrika die klimatischen Bedingungen und damit die heute schon schwierigen Lebensbedingungen in vielen Regionen verschlechtern. Wir reden dann nicht mehr über ein paar Millionen Flüchtlinge, sondern von wahrscheinlich einer Milliarde oder mehr Menschen.
Paeth: Ab 2008 hat durch die Wirtschafts- und Finanzkrise in der westlichen Welt anderes eine Rolle gespielt. Seit knapp zwei Jahren gibt es aber wieder eine starke Beschäftigung damit, wie ich finde stärker als vor zehn Jahren.
Ich erlebe einen enormen Zuwachs an Interesse und an Wahrnehmung – aber vor allem in der Bevölkerung, weniger in der Politik. Wir hatten gerade hier im Süden Deutschlands in den vergangenen Jahren doch immer wieder so eklatante Witterungsanomalien – Überschwemmungen, Trockenheit im Winter, Temperaturrekorde -, dass die Menschen anfangen, sich Gedanken zu machen. Das Klimasystem verschafft sich Gehör.
Paeth: Ja. In den Klimamodellen liegen zwischen den Szenarien „Volle Kanne Klimaschutz“ und „Weiter so wie bisher“ Erwärmungsraten zwischen 2 und 7 Grad. Das haben wir im Prinzip auch heute noch in der Hand. Aber mit jedem Jahr, in dem die Menschheit global gesehen Business as usual betreibt, schwindet der Spielraum. Was man sagen muss: Die Treibhausgaskonzentrationen sind bis heute stärker angestiegen, als man sich in den 90er Jahren in den schlimmsten Prognosen vorgestellt hat.
Paeth: Was jeder einzelne tun kann? Eine Menge, ganz unabhängig davon, ob und was die Politiker auf Gesetzesebene tun. Großkonzerne, die maßgeblich verantwortlich sind für die Entwicklungen, treffen nur die Entscheidungen auf Grundlage unseres Konsumverhaltens. Das erste ist unser Wunsch nach Mobilität. Nicht jeder wird auf ein Auto verzichten wollen und können. Aber man entscheidet selbst, ob man ein SUV mit 2,5 Tonnen Leergewicht oder ein umweltverträglicheres, effizienteres Modell mit geringem CO2-Ausstoß kauft. Und wir müssten deutlich weniger Flugreisen machen! Einen 70-Euro-Billigflug nach Barcelona ergattert zu haben, müsste uns peinlich sein. Er müsste 2000 Euro mehr kosten, würde man die ökologischen Folgekosten einbeziehen. Der zweite Grund ist unser Lebensmittelkonsum. Erdbeeren von der Südhalbkugel zu Weihnachten dürfen nicht sein. Wir müssen konsequent zurück zum regionalen Konsum. Das ändert wenig an unserer Lebensqualität, würde aber einen enormen Beitrag zum Emissionsschutz leisten. Und das gilt vor allem für den Fleischkonsum: Ja, Vegetarier sind tatsächlich Klimaschützer.